Staats-/ Verwaltungsrecht
Erkennungsdienstliche Massnahmen und die Aufbewahrung der Daten können das Recht auf persönliche Freiheit und auf informationelle Selbstbestimmung berühren. Dabei ist von einem leichten Grundrechtseingriff auszugehen. Routinemässige Entnahmen von DNA-Profilen und deren Analyse sind nicht erlaubt. Die Erstellung eines Profils, das nicht der Aufklärung von Straftaten eines laufenden Verfahrens dient, ist nur dann verhältnismässig, wenn erhebliche und konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die beschuldigte Person in andere – auch in künftige – Delikte einer gewissen Schwere verwickelt sein könnte. Dass es bezüglich künftiger Straftaten keinen hinreichenden Tatverdacht geben kann, steht der Erstellung eines DNA-Profils nicht entgegen. Im konkreten Fall stufte das Bundesgericht die Profilerstellung bei einem Täter als zulässig ein, der an einer Persönlichkeitsstörung leidet. Er beschädigte beim Verlassen einer Arztpraxis mit einem Brecheisen die Eingangstüre aus Glas. Es bestehen Anhaltspunkte dafür, dass er in Zukunft erneut Sachbeschädigungen – womöglich mit höherem Schaden – begehen könnte.
1B_17/2019 vom 24.4.2019
Aufgrund eines italienischen Rechtshilfebegehrens wurde im Februar 2015 das Bild «Porträt der Isabelle d’Este», das von Leonardo da Vinci stammen könnte, von der Tessiner Polizei in einem Schliessfach in Lugano sichergestellt. Ein italienisches Gericht in Pesaro verurteilte vor zwei Jahren die rechtmässige Besitzerin wegen der Ausfuhr des Bildes zu einer 14-monatigen Freiheitsstrafe. In der Folge ordnete die Tessiner Staatsanwaltschaft die Herausgabe des Bilds an Italien an, was das Bundesstrafgericht bestätigte. Das Bundesgericht hat eine Beschwerde der Eigentümerin gutgeheissen. Das Bild darf nicht an Italien herausgegeben werden. Voraussetzung nach den internationalen und nationalen Regelungen zur Rechtshilfe in Strafsachen ist, dass der Sachverhalt auch in der Schweiz strafbar wäre. An dieser Voraussetzung fehlt es im konkreten Fall.
1C_447/2018 vom 13.5.2019
Zivilrecht
Vernachlässigt ein geschiedener Familienvater die Sorge für das Kind, kann das Gericht den Arbeitgeber anweisen, den Lohn zum Teil an die Mutter des Kindes zu leisten. Vor Bundesgericht war die örtliche Zuständigkeit des Gerichts für die Anordnung einer solchen Schuldneranweisung strittig. Klar ist: Der Gesetzgeber wollte mit dem Inkrafttreten der Zivilprozessordnung an der bereits im ZGB enthaltenen Zuständigkeitsordnung nichts ändern. Diese ist von sozialpolitischen Überlegungen geprägt und will dem generell als schwächer erscheinenden Unterhaltsgläubiger jede Rechtswegbarriere nehmen und ihm die Möglichkeit geben, an das für ihn am einfachsten erreichbare Gericht, nämlich jenes am Wohnsitz, zu gelangen. Damit steht fest: Der Gerichtsstand für selbständige Schuldneranweisungen bestimmt sich – jedenfalls im Binnenverhältnis – nach Art. 23 und 26 ZPO.
5A_479/2018 vom 6.5.2019
Strafrecht
Wer durch ein rechtskräftiges Urteil, einen Strafbefehl etc. beschwert ist, kann die Revision verlangen, wenn neue, vor dem Entscheid eingetretene Tatsachen oder neue Beweismittel vorliegen, die geeignet sind, einen Freispruch oder eine Abänderung des Urteils herbeizuführen. Sie müssen geeignet sein, die tatsächlichen Feststellungen, auf denen die Verurteilung basiert, zu erschüttern und einen günstigeren Entscheid zugunsten der verurteilten Person zu ermöglichen. Demgegenüber sind Verfahrensverstösse im ordentlichen Rechtsmittelverfahren geltend zu machen. Keine Revision im Falle eines Ausländers, der behauptet, aufgrund seiner Fremdsprachigkeit und seines Analphabetismus weder die Tragweite noch den Regelungsgehalt der Strafbefehle erkannt zu haben. Auch die Annahme einer Nichtigkeit hat das Bundesgericht verneint, weil ein Dolmetscher beigezogen worden war und keine offensichtlichen Verfahrensfehler vorlagen.
6B_517/2018 vom 24.4.2019
Ein unter anderem wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch verurteilter Mann wehrte sich gegen die Verurteilung, weil die Strafanträge lediglich im Polizeirapport vermerkt waren und der Rapport vom Polizisten nicht unterzeichnet war. Ohne Erfolg. Die Protokollierungspflicht gemäss Art. 304 Abs. 1 StPO soll sicherstellen, dass auch ein mündlicher Strafantrag schriftlich festgehalten wird. Dementsprechend ist die Bestimmung dahingehend auszulegen, dass der mündliche Strafantrag auch in einem Polizeirapport protokolliert werden kann. Zudem kommt dem Polizeirapport auch ohne Unterschrift des rapportierenden Polizisten Beweiskraft zu. Wichtig ist nur, dass der Verfasser des Rapports namentlich erwähnt wird.
6B_1237/2018 vom 15.5.2019
Die Aargauer Justiz hat eine von ihrem Gatten getrennt lebende Frau zu Recht wegen mehrfachen unbefugten Eindringens in ein Datenverarbeitungssystem zu einer bedingten Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu 30 Franken sowie zu einer Busse von 300 Franken verurteilt. Die Frau hatte zufällig ein Kärtchen mit dem Kennwort des E-Mail-Kontos ihres Mannes gefunden, welches dieser im Pult der früheren ehelichen Wohnung zurückgelassen hatte. Sie hatte argumentiert, der Tatbestand des Eindringens in ein fremdes und passwortgeschützte Datenverarbeitungssystem verlange eine erhöhte kriminelle Energie, wie dies etwa beim Hacking oder bei Phishing-Mails der Fall sei. Sie sei ohne kriminelle Machenschaften an das Passwort gelangt und deshalb nicht strafbar. Laut Bundesgericht ist das unbefugte Eindringen in ein passwortgeschütztes fremdes E-Mail-Konto strafbar, unabhängig von der Art und Weise, wie der Täter an das Passwort gelangt ist.
6B_1207/2018 vom 17.5.2019
Weil ein Verkehrssünder eine Verkehrsbusse von 120 Franken wegen einer Verkehrsübertretung nicht bezahlte, erliess die Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl und auferlegte dem Lenker Verfahrenskosten von 200 Franken. Vor Bundesgericht argumentierte der Lenker, er habe weder die Übertretungsanzeige noch die Zahlungserinnerung erhalten. Gemäss Art. 85 StPO seien schriftliche Mitteilungen eingeschrieben oder auf andere Weise gegen Empfangsbestätigung zuzustellen. Da er keine Kenntnis vom Verkehrsregelverstoss erhalten habe, fehle es an einer wirksamen Rechtsgrundlage, um ihm die Kosten für das ordentliche Verfahren aufzuerlegen. Laut dem Urteil aus Lausanne ist Art. 85 StPO für das Ordnungsbussenverfahren – ein Spezialgesetz – nicht anwendbar. Damit ist der Schluss der Vorinstanz, es könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass weder die Übertretungsanzeige noch die Zahlungserinnerung beim Lenker angekommen seien, nicht willkürlich. Allerdings könnte es laut Bundesgericht angebracht sein, den zweiten Schriftverkehr per Einschreiben oder auf andere Weise gegen Empfangsbestätigung zu versenden.
6B_855/2018 vom 15.5.2019
Gemäss Art. 3 Abs. 1 des Gleichstellungsgesetzes (GlG) dürfen Angestellte aufgrund ihres Geschlechts weder direkt noch indirekt benachteiligt werden. Homosexuelle Personen, die eine Benachteiligung wegen ihrer sexuellen Orientierung geltend machen, können sich nicht darauf berufen, Opfer einer direkten geschlechtsbedingten Diskriminierung geworden zu sein. Eine Diskriminierung wegen Homosexualität stützt sich gerade nicht auf die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht. Diskriminierungen infolge der sexuellen Orientierung fallen nur dann als Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GlG in Betracht, wenn sie geeignet sind, einzig oder überwiegend die Angehörigen eines bestimmten Geschlechts zu benachteiligen.
8C_594/2018 vom 5.4.2019
Seit dem Auftreten einer Paraplegie wird eine Frau zu Hause von ihrem Ehemann pflegerisch betreut. In der Folge wurde der Ehemann von einer Gesellschaft als pflegender Angehöriger angestellt. Die Krankenkasse Arcosana, bei welcher die Frau krankenpflegeversichert war, teilte der Gesellschaft mit, dass die der Abklärung, Beratung und Koordination sowie der Grundpflege dienenden Massnahmen vergütet würden. Leistungen für Massnahmen der Untersuchung und der Behandlung lehnte die Krankenkasse jedoch ab, weil der pflegende Ehemann nicht über die dafür nötige Ausbildung verfügt. Das Bundesgericht hat diesen Entscheid der Krankenkasse bestätigt: Die Kassen müssten nur Massnahmen der Grundpflege im Sinne von Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 1 der Krankenpflege-Leistungsverordnung übernehmen, nicht aber Leistungen im Rahmen von lit. b (Untersuchung und Behandlung).
9C_187/2019 vom 18.4.2019