Staats-/Verwaltungsrecht
Vom Lärm der Südanflüge betroffene Grundeigentümer, deren Liegenschaften auf einer Höhe von 350 Meter überflogen werden, erhalten keine Entschädigung für den Minderwert ihrer Häuser. Ein entschädigungspflichtiger Eingriff in die Eigentumsrechte durch direkten Überflug setzt spezielle, für den Überflug typische Beeinträchtigungen physischer und/oder psychischer Art voraus. Ein Anspruch besteht zudem nur, wenn das Grundstück nach dem 1. Januar 1961 erworben wurde.
1C_232/2014 vom 18.3.2016
Die Immissionsgrenzwerte für Lärm müssen bei Neubauten an allen Fenstern von lärmempfindlichen Räumen eingehalten werden. Die in zahlreichen Kantonen angewandte «Lüftungsfensterpraxis», wonach die Grenzwerte nur an einem Fenster pro lärmempfindlichen Raum eingehalten werden müssen, führt zu einer unzulässigen Aushöhlung des vom Gesetzgeber gewollten Gesundheitsschutzes. Sind alle zumutbaren Lärmschutzmassnahmen ergriffen worden und dient das Bauprojekt der angemessenen Siedlungsentwicklung und -verdichtung nach innen, sind Ausnahmebewilligungen möglich.
1C_139–141/2015 vom 16.3.2016
Zivilrecht
Auch präzisierte Kombinationen von Kollektivunterschriften sind in das Handelsregister einzutragen. Die Auffassung des Zuger Handelsregisteramts, dass bei der Eintragung von Zeichnungsberechtigungen im Handelsregister nur eine Beschränkung des Zeichnungsberechtigten an eine Funktion zulässig ist und eine Beschränkung geknüpft an eine bestimmte Person nicht eingetragen werden könne, steht im Widerspruch zur herrschenden Lehre und zur bewährten Handelsregisterpraxis.
4A_536/2015 vom 3.3.2016
Laut Art. 29 Abs. 3 BV hat jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Es ist zulässig, die unentgeltliche Rechtspflege von der Abtretung eines allfälligen Prozessgewinns bis zur Höhe der auf den Gesuchsteller entfallenden Gerichtskosten und der Kosten der anwaltlichen Vertretung abhängig zu machen.
4A_325/2015 vom 9.2.2016
Interessanter Entscheid zur Frage der Ersatzvornahme bzw. zur Verfahrensart, wenn bei einem Haus infolge von Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück Schäden entstehen. Dabei geht es auch um die dogmatische Qualifizierung der Ersatzvornahme laut Art. 98 OR als prozessrechtliche Vollstreckungs- oder materiellrechtliche Erfüllungsregel.
4A_524/2015 vom 31.3.2016
Strafrecht
Wer einer unbekannten Privatperson ohne Bonitätsabklärung einen Drucker für 2200 Franken auf Rechnung liefert, geht bewusst ein gewisses Risiko ein. Ein solches Verhalten missachtet grundlegendste Vorsichtsmassnahmen. Von einer arglistigen Täuschung des Käufers, der übers Internet bestellt hatte, kann nicht gesprochen werden. Die Verurteilung wegen Betrugs verletzt Bundesrecht, da keine arglistige Täuschung vorliegt.
6B_887/2015 vom 8.3.2016
Verletzung des Amtsgeheimnisses kann nur von einem Behördenmitglied oder Beamten erfüllt werden. Entscheidend für die Qualifikation ist nicht die rechtliche Natur des Wahl- oder Anstellungsverhältnisses, sondern die Wahrnehmung von Funktionen im Dienst der Öffentlichkeit. Der Umstand, dass eine Universitätsrätin – hier Katharina Riklin – nicht dem im Personalgesetz festgeschriebenen Amtsgeheimnis untersteht, steht der Annahme einer Geheimhaltungspflicht nicht entgegen.
6B_851/2015 vom 7.3.2016
Bremst auf der Überholspur der Autobahn die Fahrzeugkolonne, muss der Lenker auf der Normalspur nicht mehr auf die Bremse treten. Er darf bei gleichem Tempo an den links fahrenden Autos vorbeifahren. Laut Bundesgericht ist passives Rechtsvorbeifahren bei dichtem Verkehr zur alltäglichen Situation geworden, die sich kaum vermeiden lässt und nicht automatisch zu einer Gefährdung führt. Ein Lenker, der von der Überholspur auf die Normalspur wechselt, ist vortrittsbelastet.
6B_374/2015 vom 3.3.2016
Der Freiheitsentzug einer behandlungsbedürftigen Person ist grundsätzlich nur dann rechtmässig, wenn er in einem Krankenhaus, einer Klinik oder in anderen geeigneten Institutionen erfolgt. Eine nicht nur vorübergehende Unterbringung in einer Straf- oder Haftanstalt ohne Behandlung führt mit zunehmender Wartezeit dazu, dass der Zweck der Massnahme – die Resozialisierung des Betroffenen – sowie der Anspruch auf eine adäquate Behandlung unterlaufen wird.
6B_640/2015 vom 25.2.2016
Sozialversicherungsrecht
Ist eine besoldungsmässige Ungleichheit zwischen Mann und Frau in einem öffentlichen Arbeitsverhältnis glaubhaft gemacht, muss der betreffende Kanton den vollen Beweis erbringen, dass die ungleiche Entlöhnung auf sachlich begründeten Motiven beruht. Fall einer Dienststellenleiterin im Personalamt, die 43 Prozent weniger als ihr Vorgänger und 15 Prozent weniger als ihr Nachfolger verdiente. Das Bundesgericht hat die Schlechterstellung aufgrund der besseren Ausbildung bzw. der spezifischen Berufs- und Führungserfahrung des Vorgängers bzw. Nachfolgers für zulässig erklärt.
8C_376/2015 vom 24.3.2016
Der Anspruch auf eine Invalidenrente setzt eine Beeinträchtigung der Gesundheit voraus. Mit der Diagnose eines Gesundheitsschadens ist aber noch nicht gesagt, dass dieser auch invalidisierenden Charakter hat. Ob dies zutrifft, beurteilt sich nach dem Einfluss, den der Gesundheitsschaden auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit hat. Entscheidend ist, ob der versicherten Person wegen des geklagten Leidens nicht mehr zumutbar ist, ganz oder teilweise zu arbeiten.
8C_478/2015 vom 12.2.2016
Arbeitet eine Ehefrau im Betrieb ihres Ehemannes mit, hat sie keinen Anspruch auf Arbeitslosengelder, wenn sie die Stelle aufgibt oder entlassen wird. Laut Weisung des Staatssekretariats für Wirtschaft (AVIG-Praxis ALE B23) besteht jedoch ab einer Scheidung, einer richterlichen Trennung oder vom Richter verfügten Eheschutzmassnahme Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung. Das Bundesgericht schränkt ein: «Da bis zum Scheidungsurteil eine Umgehungsgefahr persistiert, sind vor diesem Zeitpunkt keine Leistungen der Arbeitslosenversicherung geschuldet, unabhängig davon, ob und wie lange die Ehepartner faktisch oder gerichtlich getrennt leben.»
8C_639/2015 vom 6.4.2016
Weigert sich ein Sozialhilfebezüger wiederholt, an einem ihm von der Gemeinde zugewiesenen Beschäftigungsprogramm teilzunehmen, darf ihm die Sozialhilfe gekürzt werden. In solchen Fällen besteht aber weiterhin ein Anspruch auf den Minimalansatz für Nothilfe gemäss Artikel 12 BV.
8C_455/2015 vom 8.3.2016