Verwaltungsrecht
Dem WWF Schweiz muss bei der Überprüfung der Bewilligung eines Pflanzenschutzmittels Parteistellung zuerkannt werden. Die Stiftung kann deshalb gegen eine vom Bundesamt für Landwirtschaft erteilte Bewilligung eines Pflanzenschutzmittels – im konkreten Fall mit dem Wirkstoff «Quinoclamine», der für Wildbienen und andere Insekten hochgiftig ist – Beschwerde führen. Da sich die Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln nicht von vorneherein auf bestimmte Orte beschränken, sondern Böden, Gewässer und Lebensräume in der ganzen Schweiz betroffen sein können, ist nicht erforderlich, dass sich die Verfügung auf ein bestimmtes räumliches Gebiet bezieht. Der Ausschluss der Verbandsbeschwerde bei der Zulassungsprüfung von Pflanzenschutzmitteln würde der Absicht des Gesetzgebers klar widersprechen.
1C_312/2017 vom 12.2.2018
Zivilrecht
Im ordentlichen Zivilprozess haben die Parteien zweimal die Möglichkeit, sich unbeschränkt zu äussern, während sie danach nur noch unter den eingeschränkten Voraussetzungen des Novenrechts von Artikel 229 Absatz 1 ZPO gehört werden können. Dies gilt sinngemäss auch für das vereinfachte Verfahren. Im summarischen Verfahren darf sich jedoch keine Partei darauf verlassen, dass das Gericht nach einmaliger Anhörung einen zweiten Schriftenwechsel oder eine mündliche Hauptverhandlung anordnet. Es besteht kein Anspruch der Parteien darauf, sich zweimal zur Sache zu äussern. Das Bundesgericht hat offengelassen, ob Artikel 229 ZPO analog anzuwenden ist und Noven zuzulassen sind, wenn – nach einem einfachen Schriftenwechsel – eine Verhandlung stattfindet oder ausnahmsweise ein zweiter Schriftenwechsel angeordnet wird.
4A_557/2017 vom 21.2.2018
Ob der Tag des Stellenantritts bei der Berechnung der Probezeit mitzuzählen ist oder nicht, hängt vom Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ab. Tatsächlich bestimmt Artikel 77 Absatz 1 Ziffer 3 OR, dass für den Beginn der Frist auf den «Tag des Vertragsabschlusses» abzustellen ist. Artikel 77 Absatz 2 OR präzisiert sodann, dass die Frist in gleicher Weise auch dann berechnet wird, «wenn sie nicht von dem Tage des Vertragsabschlusses, sondern von einem andern Zeitpunkte an zu laufen hat». Wird der Arbeitsvertrag am Tag abgeschlossen, in dessen Verlauf auch der Stellenantritt erfolgt, steht dieser Tag nicht voll zur Verfügung. Er wird daher nicht mitgezählt.
4A_3/2017 vom 15.2.2018
Steht ein Kind unter der gemeinsamen elterlichen Sorge, heisst dies nicht durchwegs, dass der Elternteil, welcher den Aufenthaltsort der Kinder verlegen will, auf die Zustimmung des andern Elternteils bzw. auf behördliche oder gerichtliche Genehmigung angewiesen ist, obwohl dies Artikel 301a Absatz 1 ZGB nahelegen würde. Dies trifft nur auf die Auswanderung zu. Allerdings bedarf gemäss Artikel 301a Absatz 2 litera b ZGB die binnenstaatliche Verlegung des Aufenthaltsortes der Kinder dann der Zustimmung, wenn dies eine erhebliche Auswirkung auf die Ausübung der elterlichen Sorge oder des Besuchsrechts hat. Im konkret beurteilten Fall hätte ein Umzug aus dem Aargau in den Tessin der Zustimmung des Vaters bedurft. Durch ihr eigenmächtiges Handeln verletzte die Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht des Vaters, welches ihm als Sorgerechtsinhaber zusteht.
5A_47/2017 vom 6.11.2017
Der genetische Vater eines Kuckuckskindes setzte alle Hebel in Bewegung, um als Vater anerkannt und im Register eingetragen zu werden. Das Ehepaar ging jedoch nicht auf seinen Wunsch ein, worauf der genetische Vater gegen die Mutter und deren Ehemann klagte. Er argumentierte, das Vorgehen des Ehepaares verletze seine Persönlichkeit. Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Recht, Klage zu erheben, steht nur dem Ehemann und unter gewissen Voraussetzungen dem Kind zu. Demgegenüber hat der genetische Vater kein Recht, in solchen Fällen auf seine Vaterschaft zu pochen. Dass der Ehemann der Mutter die Vaterschaft nicht angefochten hat, bedeutet keine widerrechtliche Verletzung der Persönlichkeit. Allenfalls ist es Sache des Gesetzgebers, den «bislang eher eng gezogenen Kreis der Anfechtungsberechtigten» auszuweiten.
5A_332/2017 vom 18.12.2017
Strafrecht
Führt die Polizei Befragungen durch, kann sie grundsätzlich nur beschuldigte Personen oder Auskunftspersonen befragen. Das Recht zur formellen Zeugeneinvernahme steht ihr – ausser bei delegierter Befragung – nicht zu. Ist nicht klar, ob die betreffende Person später durch die Staatsanwaltschaft als Auskunftsperson oder als Zeuge befragt wird, muss diese gegebenenfalls sowohl auf das Aussageverweigerungsrecht wie auch das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen aufmerksam gemacht und darüber belehrt werden. Im beurteilten Fall dürfen die Aussagen der Ehefrau eines Beschuldigten nicht verwertet werden, weil sie nicht auf das Zeugnisverweigerungsrecht hingewiesen worden war.
6B_1025/2016 vom 24.10.2017
In einem Verfahren wegen Veruntreuung, ungetreuer Geschäftsführung und Misswirtschaft verpflichtete das Zürcher Bezirksgericht drei Personen «als andere Verfahrensbeteiligte», als Ersatz für einen nicht mehr vorhandenen widerrechtlich erlangten Vermögensvorteil total 865 000 Franken an den Staat zu bezahlen. Dagegen erhoben die drei Berufung und verlangten, als Privatkläger in das Verfahren aufgenommen zu werden. Darauf verlangte das Obergericht Prozesskautionen in der Höhe von 150 000 Franken. Die drei traten als Privatkläger zurück. Trotzdem hielt das Obergericht an einer Prozesskaution von noch 69 000 Franken fest. Das Bundesgericht beurteilte dies als unzulässig. Andere Verfahrensbeteiligte im Sinne von Artikel 105 Absatz 1 litera f der Strafprozessordnung können nicht verpflichtet werden, für allfällige Kosten und Entschädigungen Sicherheit zu leisten.
6B_1356/2017 vom 17.1.2018
Im Rahmen eines «Ablehnungsgesuchs» rügte ein Beschwerdeführer, die Besetzung des Spruchkörpers des Bundesgerichts beruhe im Einzelfall nicht auf einem gesetzlichen Geschäftsverteilungsplan, sondern liege im Ermessen des Abteilungspräsidenten. Die für die Gerichtsbesetzung vorgesehenen Kriterien böten keine Gewähr, dass der Spruchkörper gegen Einflussnahme von aussen hinreichend geschützt sei. Das Bundesgericht verwarf diese Einwände. Weder die Bundesverfassung noch die EMRK oder die Rechtsprechung dazu stünden einer «aktiven», mithin nicht bloss auf Zufall basierenden Zusammensetzung des Spruchkörpers entgegen, solange diese gesetzlich geregelt ist und auf sachlichen Kriterien beruht. Der Gerichtshof für Menschenrechte verlange nicht, dass die Zusammensetzung des Spruchkörpers vorab aufgrund einer generell-abstrakten Regel bestimmbar sein müsse.
6B_1356/2016 vom 5.1.2018
Sozialversicherungsrecht
Die Wirtschaftlichkeit von Generika muss gemäss Artikel 35b der Krankenpflege-Leistungsverordnung alle drei Jahre überprüft werden, damit sie in die Spezialitätenliste aufgenommen werden. Dabei müssen die Fabrikabgabepreise der Generika mindestens 10 bzw. in gewissen Fällen 20 Prozent tiefer sein als die durchschnittlichen Fabrikabgabepreise der Originalpräparate. Entgegen der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts kommt die genannte Bestimmung auch für jene Generika zur Anwendung, die vor dem 1. Januar 2012 in die Spezialitätenliste aufgenommen worden sind.
9C_796/2016 vom 22.12.2017
Eine Lagermitarbeiterin erhielt aufgrund eines Invaliditätsgrades von 70 Prozent eine ganze Invalidenrente, auch von der Pensionskasse. Zehn Jahre später hoben die IV-Stelle und die BVG-Stiftung die Rente im Rahmen eines Revisionsverfahrens auf. Infolge Verschlechterung des Gesundheitszustandes erhielt die Frau Jahre später von der IV-Stelle, nicht aber von der BVG-Stiftung, erneut eine IV-Rente. Die Gerichtspraxis zur Frage nach Grad und Dauer der Arbeitsfähigkeit, die als ausreichend zu erachten sind, um den zeitlichen Konnex zwischen der ursprünglichen, während des Vorsorgeverhältnisses eingetretenen Arbeitsunfähigkeit und der späteren Invalidität zu unterbrechen, war bis anhin uneinheitlich. Nun gilt: Eine Unterbrechung des zeitlichen Konnexes ist dann anzunehmen, wenn während mehr als dreier Monate eine Arbeitsfähigkeit von über 80 Prozent in einer angepassten Erwerbstätigkeit gegeben ist. Im konkreten Fall hat die Frau Anspruch auch auf eine IV-Rente der BVG-Stiftung, da aus psychiatrischer Sicht eine durchgehende Arbeitsunfähigkeit von 20 Prozent gegeben war.
9C_147/2017 vom 20.2.2018