Verwaltungsrecht
Die französischen Behörden erhalten keine Amtshilfe im Kampf gegen Steuersünder, wenn diese Personen auf Basis der von Hervé Falciani gestohlenen Daten bei der Bank HSBC in Genf identifiziert worden sind. Gemäss Art. 7 c des Bundesgesetzes über die internationale Amtshilfe in Steuersachen wird auf ein Amtshilfegesuch nicht eingetreten, wenn sich dieses auf Informationen stützt, die durch Handlungen erlangt worden sind, die nach schweizerischem Recht strafbar sind. Da es unbestritten ist, dass Hervé Falciani die Daten als ehemaliger Mitarbeiter der HSBC illegal beschafft hat und dafür vom Bundesstrafgericht 2015 wegen Wirtschaftsspionage zu fünf Jahren Haft verurteilt worden ist, muss die Schweiz die Amtshilfe verweigern. Zudem hatte sich Frankreich gegenüber der Schweiz vor Jahren verpflichtet, die Falciani-Daten nicht zu verwenden, um die Schweiz um Amtshilfe zu ersuchen. Diese Verpflichtung erstreckt sich auch auf Amtshilfeersuchen, die lediglich einen indirekten Zusammenhang mit den Falciani-Daten aufweisen.
2C_1000/2015 vom 17.3.2017
Vor dem Verkauf eines Geschäftshauses in der Stadt Zürich zum Preis von 62 Millionen Franken hatten die Eigentümer die darauf lastenden Hypotheken gegen eine Vorfälligkeitsentschädigung vorzeitig aufgelöst. Ein entsprechender Abzug der Entschädigung bei der Grundstückgewinnsteuer wurde ihnen aber verwehrt. Zu Unrecht: Da die Hypothek unmittelbar vor dem Verkauf der Liegenschaft endgültig sowie vollumfänglich aufgelöst und nicht durch eine neue ersetzt wurde, ist die Vorfälligkeitsentschädigung bei der Grundstückgewinnsteuer als gewinnmindernd anzurechnen. Es handelt sich um abzugsfähige «Anlagekosten» gemäss Art. 12 des BG über die Harmonisierung der direkten Steuer StHG.
2C_1148/2015 vom 3.4.2017
Ein wegen mehreren qualifizierten Raubüberfällen angeklagtes und inhaftiertes Paar, das seit 15 Jahren im Konkubinat lebt, hat grundsätzlich Anspruch darauf, sich im Rahmen des Besuchsrechts zu treffen. Bei sachgerechten Besuchsintervallen ist kein übertriebener Aufwand für die zuständigen Behörden darin erkennbar, den nicht mehr kollusionsgefährdeten Beschuldigten mittels Gefangenentransport in die Vollzugsanstalt seiner mitbeschuldigten Lebensgefährtin zu bringen. Eine vollständige Verweigerung des Besuchsrechts im hängigen Strafverfahren würde das Grundrecht der Inhaftierten auf Familienleben bzw. persönlichen Kontakt mit dem langjährigen Lebenspartner ausserordentlich stark beeinträchtigen.
1B_34/2017 vom 18.4.2017
Zivilrecht
Nach Art. 426 Abs. 1 ZGB darf eine Person, die an einer psychischen Störung leidet, in einer geeigneten Anstalt untergebracht werden, wenn die nötige Behandlung und Betreuung nicht anders erfolgen kann. Bei ärztlich angeordneter fürsorgerischer Unterbringung nach Art. 439 ZGB muss zwingend ein Sachverständigengutachten im Sinn von Art. 450e Abs. 3 ZGB erstellt werden, wenn die betroffene Person gegen die Unterbringung Beschwerde erhebt. Daran ändert nichts, dass die ärztliche Einweisung lediglich auf maximal sechs Wochen befristet ist und anschliessend ohne weiteres dahinfällt, wenn die Kesb keine Fortführung der Massnahme verfügt. Auch bei einer zeitlich befristeten Massnahme handelt es sich um einen schweren Eingriff in die persönliche Freiheit des Betroffenen. Diese strenge Anforderung – im Falle eines Beschwerdeverfahrens ein Gutachten zu erstellen – ist deshalb laut Bundesgericht gerechtfertigt. Vereinzelt müssen Kantone – etwa Bern – ihre diesbezügliche Praxis ändern.
5A_83/2017 vom 23.2.2017
Der in Artikel 170 ZGB verankerte materiellrechtliche Auskunftsanspruch der Ehegatten über die finanziellen Verhältnisse wirkt nicht derart über die Auflösung der Ehe hinaus, dass er auch noch im Zusammenhang mit einem Abänderungsverfahren nach Art. 129 ZGB oder im Hinblick darauf als gesetzliche Grundlage für ein Auskunftsbegehren angerufen werden könnte. Denn bei einer Abänderung nach Artikel 129 ZGB steht gerade nicht die nacheheliche Solidarität im Vordergrund, sondern eine Veränderung von Umständen, die sich erst nach Auflösung der Ehe ergeben hat.
5A_295/2016 vom 23.2.2017
Strafrecht
Entgegen dem Wortlaut von Art. 360 Abs. 1 lit. h StPO ist davon auszugehen, dass bei strafbarer Einwirkung auf das abgekürzte Verfahren ein Revisionsgrund vorliegt. Gleiches gilt bei schwerwiegenden Willensmängeln. Können solche Gründe im Rahmen der eingeschränkten Berufung vorgebracht werden, sind sie auch als Revisionsgründe zuzulassen. Anders verhält es sich bei neuen Tatsachen und Beweismitteln; sie sind mit einem fehlenden Beweisverfahren unvereinbar und deshalb im abgekürzten Verfahren – entsprechend dem klaren Gesetzeswortlaut – keine zulässigen Revisionsgründe.
6B_616/2016 vom 27.2.2017
Zwei irakische Männer sind zu Recht wegen Beteiligung an einer kriminellen Organisation verurteilt worden, weil sie als Zugehörige des «islamischen Staats» IS für diese Terrororganisation tätig waren. Bei beiden Tätern war aufgrund der Sachlage der Tatbestand der Beteiligung erfüllt. Eine «Beteiligung» setzt nicht voraus, dass jemand zum harten Kern einer kriminellen Organisation gehört. Auch wer längerfristig bereit ist, ihm erteilte Befehle zu verfolgen, ist an dieser Organisation beteiligt. Aufgehoben hat das Bundesgericht die «auffallend hohen Strafen» von je vier Jahren und acht Monaten.
6B_1104/2016 und 6B_1132/2016 vom 7.3.2017
Aus Artikel 6 Ziff. 3 lit. c EMRK kann keine Pflicht zur notwendigen Beiordnung einer Verteidigung abgeleitet werden. Die Konventionsstaaten verfügen insoweit bezüglich der innerstaatlichen Ausgestaltung einer allfälligen gesetzlichen Anspruchsgrundlage über ein grosses Ermessen. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, dass Art. 130 lit. b StPO nicht an das abstrakt höchstmögliche, sondern an das konkret zu erwartende Strafmass anknüpft. Damit bleibt die Effektivität der Verteidigung auch unterhalb der Schwelle von Art. 130 lit. b StPO gewahrt.
1B_338/2016 vom 3.4.2017
Gegen ein Ehepaar aus dem Kanton Solothurn, das der Tötung ihres Sohnes und der schweren Körperverletzung ihrer Tochter verdächtigt wird, wurde zu Recht verdeckt ermittelt. Auch die Audioüberwachung der Wohnung des Elternpaares war angesichts der schwerwiegenden mutmasslichen Straftaten gerechtfertigt. Dass die Eltern im Rahmen der Ermittlungen von ihrem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch gemacht hatten, steht dem Einsatz verdeckter Ermittler nicht entgegen. Unzulässig wäre es gewesen, wenn ein verdeckter Ermittler einem der Beschuldigten unter Ausnützung des geschaffenen Vertrauensverhältnisses Fragen, die in der Einvernahme gestellt wurden, unterbreitet und ihn zur Aussage gedrängt hätte. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Staatsanwaltschaft die Ermittler angehalten hätte, so vorzugehen.
1B_115/2016, 1B_116/2016, 1B_117/2016 und 1B_118/2016 vom 21.3.2017
Sozialversicherungsrecht
Die sozialrechtliche Abteilung des Walliser Kantonsgerichts ist auf eine elektronisch unterzeichnete und elektronisch übermittelte Beschwerde zu Recht nicht eingetreten. Für den elektronischen Verkehr im Rahmen von Gerichts- und Verwaltungsverfahren ist eine gesetzliche Grundlage notwendig. Die Eidgenossenschaft hat die Zulässigkeit der elektronischen Beschwerde u.a. in Zivil- und Strafangelegenheiten geregelt. Der Bund hat den Kantonen keine Vorgaben zur Schaffung eines einheitlichen elektronischen Rechtsverkehrs gemacht. Bisher hat der Kanton Wallis darauf verzichtet, selber eine entsprechende Regelung einzuführen.
8C_455/2016 vom 10.2.2017
Leidet ein Patient an somatoformen Schmerzstörungen, muss die Krankenkasse trotz Abhängigkeitsrisiko deren Behandlung mit Morphin oder anderen opioidhaltigen Medikamenten übernehmen. Voraussetzung ist allerdings, dass das Mittel in die Liste der kassenpflichtigen Medikamente aufgenommen und die Behandlung wirksam und zweckmässig ist. Fall einer 48-jährigen Frau, die seit einem Ski- und Auffahrunfall an somatoformen Schmerzstörungen leidet. Die Krankenkasse durfte die weitere Kostenübernahme verweigern, nachdem bei der betroffenen Frau bereits seit längerer Zeit ein schädlicher Missbrauch festgestellt wurde und die Mittel keine anhaltende Schmerzreduktion bewirkt hatten.
9C_528/2016 vom 28.2.2017