Staats-/Verwaltungsrecht
Die Medienmitteilung der Konferenz der kantonalen Finanzdirektoren (FDK) mit dem Titel «Die FDK empfiehlt die Vollgeld-Initiative zur Ablehnung» war nicht statthaft. Gemäss Bundesgericht sind nur die Kantonsregierungen oder die Konferenz der Kantonsregierungen, nicht aber die FDK, befugt, sich in einen eidgenössischen Abstimmungskampf einzuschalten. Angesichts des deutlichen Abstimmungsresultats – Ablehnung der Vollgeld-Initiative mit 75,7 Prozent Nein-Stimmen – und der begrenzten Bedeutung und Publizität der Medienmitteilung der FDK steht ausser Diskussion, dass das Ergebnis hätte entscheidend beeinflusst werden können. Eine Publikation der Schweizerischen Nationalbank hingegen erfolgte im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags zur Orientierung der Öffentlichkeit über Geld- und Währungspolitik. Sie trug zur Meinungsbildung bei.
1C_216/2018 und 1C_276/2018 vom 10.12.2018
Bauherren spekulieren beim Bau von Erstwohnungen gelegentlich auf eine spätere Nutzung als Zweitwohnungen. Bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen ist dies möglich. Um einen Rechtsmissbrauch zu vermeiden, ist laut Bundesgericht von Amtes wegen zu prüfen, ob konkrete Indizien vorliegen, welche die Möglichkeit einer Nutzung des Bauvorhabens als Erstwohnung unrealistisch erscheinen lassen. Bei einer geplanten Überbauung in Saanen BE war dies offensichtlich: Ursprünglich waren die Wohnungen als Zweitwohnungen geplant. Zudem entsprachen sie vom Zuschnitt und der Infrastruktur her – u.a. Wellnessbereich, Dampfbad und Jacuzzi – Ferienwohnungen im gehobenen Segment. Aufgrund des voraussichtlichen Kaufpreises kommen die Wohnungen nur für wohlhabende Personen in Betracht; seit 2012 ist es der Bauherrschaft denn auch nicht gelungen, mehr als eine Wohnung ab Plan an Ortsansässige zu verkaufen.
1C_69/2018 vom 3.12.2018
Gemäss Art. 64 a Abs. 6 Krankenversicherungsgesetz kann eine säumige versicherte Person den Versicherer nicht wechseln, solange sie die ausstehenden Prämien und Kostenbeteiligungen (sowie Verzugszinsen und Betreibungskosten) nicht vollständig bezahlt hat. Offen in diesem Zusammenhang war bisher, ob der gesamte in einem Verlustschein wiedergegebene Betrag oder nur die um den vom Kanton geleisteten 85-prozentigen Beitrag reduzierte Summe zu begleichen ist. Aufgrund einer umfassenden Auslegung der genannten Bestimmung kommt das Bundesgericht zum Schluss, dass der Gesamtbetrag der in einem Verlustschein aufgeführten Forderung zu begleichen ist.
9C_714/2018 vom 18.12.2018
Strafrecht
Erstmals hat das Bundesgericht Kriterien für den strafrechtlichen Härtefall festgelegt. Beim Verzicht auf eine Landesverweisung ist zu beachten, dass der Gesetzgeber eine restriktive Umsetzung verlangte und das richterliche Ermessen so weit wie möglich einschränken wollte. Für die Lausanner Richter ist es gerechtfertigt, sich für die Anwendung der Härtefallklausel an den Kriterien zu orientieren, die im Ausländerrecht für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung in einem schwerwiegenden persönlichen Härtefall gelten. Zu berücksichtigen sind dementsprechend die Integration, die Respektierung der Rechtsordnung, die Familienverhältnisse, die finanziellen Verhältnisse, die Dauer der Anwesenheit. Der Fall betraf einen hier geborenen und lebenden Spanier mit zwei kleinen Kindern. Familiäre und soziale Beziehungen zu Spanien hat er nicht. Trotz einer zwölfmonatigen Freiheitsstrafe wegen Raubes kann der Mann in der Schweiz bleiben.
6B_209/2018 vom 23.11.2018
Ein Mann ist zu Unrecht wegen Rassendiskriminierung verurteilt worden, weil er in einer Tessiner Zeitung den Genozid an bosnischen Muslimen in Srebrenica geleugnet hat. Der Mann hatte unter Verweis auf das Buch «Srebrenica, wie es wirklich war» geschrieben, die offizielle Version von «Srebrenica» sei eine «propagandistische Lüge». Für das Bundesgericht stand nicht fest, dass der Autor in diskriminierender Absicht gehandelt hatte. Es kommt zum Schluss, dass die Verurteilung das Recht auf freie Meinungsäusserung verletzt. Der Gegenstand der Texte betreffe die jüngere Geschichte und sei grundsätzlich von öffentlichem Interesse, weshalb solchen Meinungsäusserungen Schutz zuzuerkennen sei.
6B_805/2017 vom 6.12.2018
Die Polizei hat die Kompetenz, Fahrzeuglenker zu einem Drogenschnelltest gemäss Art. 10 Abs. 2 der Strassenverkehrskontrollordnung zu verpflichten. Eine Mitwirkung der Staatsanwaltschaft ist nicht erforderlich. Personen, die ihre Fahruntüchtigkeit durch Drogen- oder Medikamentenkonsum herbeiführen, sollen gleich behandelt werden wie Lenker, die wegen Alkoholkonsums fahrunfähig sind. Der Betroffene hatte argumentiert, die Polizei sei nur zur Durchführung, nicht aber zur Anordnung eines Drogenschnelltests befugt.
6B_598/2018 vom 7.11.2018
Die Zürcher Justiz hat einen schwedisch-serbischen Doppelbürger mit Aufenthaltsbewilligung B strafrechtlich des Landes verwiesen. Der EU-Bürger hatte bei einer Auseinandersetzung einem Kontrahenten eine Flasche an den Kopf geworfen und ihn damit verletzt. Zudem bedrohte er seinen Widersacher mit dem Tod. Vor Bundesgericht berief sich der EU-Bürger auf das Freizügigkeitsabkommen (FZA). Dem widersprach das Bundesgericht in seinem ersten Entscheid zur strafrechtlichen Landesverweisung im Zusammenhang mit dem FZA: Laut dem Urteil aus Lausanne hat das Strafgericht bei der Prüfung einer Landesverweisung zunächst das vertraute Landesrecht anzuwenden. Ist das Ergebnis wie im konkreten Fall mit dem FZA kompatibel, stellt sich die Frage des Vorrangs der landesrechtlichen Normen oder des FZA nicht.
6B_235/2018 vom 1.11.2018
Zivilrecht
Gelder der beruflichen Vorsorge sind bei einer Scheidung hälftig zu teilen. Verletzt allerdings ein Ehepartner während Jahrzehnten seine Pflichten gegenüber der Familie schwerwiegend, kann von diesem Grundsatz abgewichen werden. Im konkreten Fall hatte ein Ehemann kaum gearbeitet und sein Geld beim Glücksspiel verloren. Zudem hatte er Frau und Kinder psychisch und physisch misshandelt. Während der ganzen Ehe trug er nichts zum Unterhalt der Familie bei und kümmerte sich nicht um die Kinder. Bei krass ehewidrigem Verhalten und bei grober Verletzung der ehelichen Unterhaltspflicht – das Bundesgericht spricht von «situations particulièrement choquantes» – kann der Scheidungsrichter die Teilung der beruflichen Vorsorgegelder teilweise oder gar gänzlich verweigern.
5A_443/2018 vom 6.11.2018