Markus Kühni, Informatikingenieur aus Bern, hat wenig Vertrauen in die elektronische Auszählung der Stimmzettel: «Das effektive Erkennen und das Zählen der Stimmen findet innerhalb einer Blackbox statt. Die Bürger müssen darauf vertrauen, dass weder Softwarehersteller oder -lieferanten noch irgendwelche Leute in den Wahlbehörden, noch Dritte – etwa Hacker – das System manipuliert haben.» Im Mai 2013 hatte sich die Regierung der Stadt Bern für den Einsatz der Scanner ausgesprochen, im Dezember gab die Bundeskanzlei grünes Licht.
Am 9. Februar 2014 kritisierte der engagierte Informatikingenieur in einem offenen Brief «die fehlenden Kontrollmöglichkeiten von aussen». Das Zusammenzählen der Stimmen gemäss Betriebskonzept sei völlig ungeschützt und unkontrollierbar. Um den Kritiker zu besänftigen und ihm die Vorteile des elektronischen Auszählens zu zeigen, lud ihn die Stadt Bern bei der Gripen-Abstimmung zu einer Besichtigung in den Erlacherhof ein, den Sitz der Berner Stadtregierung. Der 45-Jährige war nachher alles andere als überzeugt. Er stellte fest, dass Scanner und Software Mängel aufwiesen.
Fehlerhafte Software, falsche Scannereinstellung
Nach der elektronischen Auszählung wurden pro Zählkreis einmal zehn aufeinanderfolgende Zettel manuell ausgezählt und mit dem elektronischen Auszug verglichen. Kühni: «Bei meiner Beobachtung traten drei Fehler zutage – zwei Softwarefehler und ein klarer Erkennungsfehler, wo ein durchaus deutliches Kreuz auf einem Stimmzettel nicht gezählt wurde.»
Diese Stichprobe betrug etwas mehr als ein Promille der gesamten an diesem Sonntag gezählten Wahlformulare: 60 Zettel von rund 50 000. Werde bei 60 zufällig getesteten Zetteln eine Stimme als falsch erkannt, sei auf alle abgegebenen Zettel mit einer Grössenordnung von 1000 falsch erfassten Stimmen zu rechnen, so Kühne.
Grund des Fehlers: Der Scanner erfasste die Zettel nur als Schwarzweissbild ohne Zwischentöne. Ein Schwellenwert entscheide, ab welchem Helligkeitswert ein Punkt als «weiss» erkannt werde. Sei der Wert zu hell eingestellt, «erscheinen womöglich schon leichte Verunreinigungen oder Unregelmässigkeiten des Papiers als falsches Kreuz». Sei er zu dunkel eingestellt, verpasse der Scanner Kreuze mit heller oder dünner Strichführung. «Offenbar war der Schwellenwert am Beobachtungstag sehr dunkel eingestellt, deshalb wurde das deutliche Kreuz nicht erkannt», folgert Kühni. Er versteht nicht, weshalb die Zettel nur schwarzweiss gescannt werden. Allerdings lassen sich nicht alle Probleme mit anderen Einstellungen am Gerät lösen (vgl. «Kein Verlass auf Scanner», Seite 67).
Kühni ist nicht der einzige Kritiker des neuen Zählsystems: Wenige Tage nach der Gripen-Abstimmung reichten drei Mitglieder des Stadtparlaments eine Motion ein. Sie forderten die Einsetzung einer stadtexternen Fachkommission und eine Abkehr vom elektronischen Auszählverfahren. Ende Februar reichte die Berner Juristin Simone Machado Rebmann eine Beschwerde ein, die eine Volksabstimmung über die elektronische Stimmenauszählung beantragte. «Das Recht auf unverfälschte Stimmabgabe ist das Fundament der Ausübung unserer demokratischen Rechte. Wenn ich nicht mehr weiss und nicht mehr überprüfen kann, was mit meiner Stimme gemacht wird, dann fühle ich mich nicht mehr in einem demokratischen Staat», sagt sie.
Auch Lausanne, Freiburg, Genf und St. Gallen scannen
Der Berner Stadtschreiber Jürg Wichtermann will sich aufgrund des hängigen Rechtsmittelverfahrens nicht zur Kritik äussern. Auf die Frage, weshalb die Stadt trotz Kritik von mehreren Seiten und hängigem Beschwerdeverfahren die zwei Scanner bei der eidgenössischen Volksabstimmung vom 8. März einsetzte, antwortet er: «Eine Absetzung war nie ein Thema. Der Beschwerde ist die aufschiebende Wirkung entzogen worden.» Die Geräte seien bis heute erfolgreich eingesetzt worden, Kritik sei nur «sehr vereinzelt» geäussert worden.
Nebst Bern haben sich weitere Kantone für das elektronische Auszählen von Stimmzetteln entschieden. Die Städte Lausanne und Freiburg sowie der Kanton Genf setzen bereits auf diese Praxis, ebenso St. Gallen: «Seit 2007 haben wir E-Counting an rund 30 Wahl- und Abstimmungsterminen erfolgreich angewendet», sagt Stephan Wenger vom Stimmbüro der Stadt St. Gallen. Während dieser Zeit seien keine nennenswerten Probleme aufgetreten, welche die Sicherheit des Verfahrens oder dessen Vorteile in Frage gestellt hätten. Das Scanning der Stimmzettel werde beim Einrichten vor jeder Abstimmung mit den an der Abstimmung verwendeten Stimmzetteln ausgiebig getestet, versichert Wenger. Ausserdem achte die Stadt St. Gallen auf eine gute Papierqualität des Stimmzettels. Zudem sei eine Kontrolle durchgeführt worden: «Sie hat bei rund 20 000 Stimmzetteln zu minimen Differenzen (je nach Vorlage zwischen 1 und 4) geführt. Diese waren aber nicht auf den Scanner, sondern auf die Verifizierung durch das Stimmbüro zurückzuführen», sagt Wenger. Solche Differenzen sind laut Wenger auch dann möglich, wenn die gesamte Auszählung manuell durchgeführt werde.
OSZE verlangt manuelle Stichproben
Markus Kühni schlägt bei den Abstimmungen Kontrollschritte vor: «Scannerfehler sind nur das erste entdeckte Problem, es braucht einen integralen Schutz auch gegen andere, künftige Fehlfunktionen und Manipulationen.» Damit meint er eine manuelle Auszählung einer statistisch signifikanten Stichprobe. Je nach erforderlicher Präzision müssten dann einige Tausend zufällig ausgewählte Stimmzettel von Hand ausgezählt werden. «Wenn das Resultat der elektronischen Auszählung innerhalb des Vertrauensintervalls mit der Stichprobe übereinstimmt, hat man immerhin eine gewisse Sicherheit. Treten jedoch Abweichungen auf, müsste gesetzlich zwingend eine volle manuelle Nachzählung durchgeführt werden.»
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gibt ihm recht. Sie schreibt im Handbuch zur Beobachtung neuer Abstimmungstechnologien: «Da Scanner Opfer von Fehlfunktion und Betrug sein können, ist es wichtig, dass mindestens eine Teilmenge der Stimmzettel nachträglich durch Audits manuell gezählt wird und wenn nötig Nachzählungen durchgeführt werden. Die Audits der Papierzettel sollten zufällig und von einer statistisch relevanten Grösse sein.»