plädoyer: Isaak Meier, in Ihrer Schlussvorlesung an der Universität Zürich sprachen Sie von einer «Dreiklassengesellschaft» beim Zugang zur Justiz. Wie begründen Sie diesen Vorwurf der Ungleichbehandlung?
Isaak Meier: Es gibt zunächst einmal die vermögenden Leute. Sie können ohne Weiteres prozessieren und das volle Kostenrisiko eines Gerichtsverfahrens in Kauf nehmen. Sie haben auch eine grosse Verhandlungsmacht, etwa wenn es um einen Vergleich geht. Dann gibt es Personen, die am Rand des Existenzminimums leben. Diese können Prozesse unentgeltlich führen. Wenn sie den Prozess verlieren, schulden sie der Gegenpartei jedoch eine Parteientschädigung von unter Umständen mehreren 10 000 Franken. Die dritte Gruppe bilden Leute aus Mittelstand und KMU. Sie können theoretisch ebenfalls Prozesse führen. Angesichts des hohen Prozessrisikos müssen sie aber gravierende finanzielle Einschränkungen in Kauf nehmen.
Anastasia Falkner: Ich bin nicht ganz einverstanden. Was heisst denn Mittelstand? Ich habe vor zwei Jahren mit einer Kollegin der «Berner Zeitung» publiziert, in wie vielen Scheidungen im Kanton Bern die unentgeltliche Prozessführung gewährt wird. Wir brachten das Beispiel eines Familienvaters mit monatlich 8800 Franken Einkommen. In diesem Fall wurde beiden Parteien die unentgeltliche Rechtspflege gewährt. Man kann doch hier nicht mehr von Personen am Rande des Existenzminimums sprechen.
Die Frage des Gerichtskostenvorschusses haben nicht die Richter entschieden. Das ist eine hochpolitische Frage. Der Gesetzgeber wollte es so, wie es heute in der Zivilprozessordnung (ZPO) steht. Die Kantone machten massiv Druck. Wir Richterinnen und Richter können nichts anderes tun, als die Zivilprozessordnung umzusetzen.
Meier: Mein Vorwurf richtet sich nicht in erster Linie an die Gerichte, sondern an die Politiker und die gesetzlichen Grundlagen. Aber die Gerichte haben einen Ermessensspielraum. Beispiel: Ich führe zurzeit einen Prozess, in dem es um 15 000 Franken geht. Diejenige Partei, welche verliert, muss mit Prozesskosten von 10 000 bis gegen 15 000 Franken rechnen. Die Gerichtskosten sind etwa 2500 Franken, die Kosten für die eigene Rechtsvertretung und die Parteientschädigung können – falls es ein Beweisverfahren gibt – über 10 000 Franken hoch sein. Das heisst: Auf der Verliererseite bezahlt man über 12 000 Franken. Und das nur in der ersten Instanz. Ein Berufungsverfahren würde zusätzlich über 10 000 Franken kosten. Bei einem solchen Prozess haben wir also insgesamt ein Kostenrisiko von gegen 25 000 Franken. Das ist nicht mehr verhältnismässig.
plädoyer: Das heisst doch: Jeder Kläger muss sich sehr gut überlegen, ob er von der Dienstleistung der Justiz überhaupt Gebrauch macht?
Meier: Genau.
Falkner: In Bern sind die Kosten geringer. Im Beispiel von Herrn Meier werden Gerichtskosten und Parteientschädigung berücksichtigt. Die reinen Gerichtskosten sind niemals so hoch.
plädoyer: Sie bezeichnen die Praxis der unentgeltlichen Prozessführung im Kanton Bern also als sehr grosszügig?
Falkner: Ja. Wir erhalten jährlich 1300 Gesuche um unentgeltliche Prozessführung, 1140 davon werden gutgeheissen, rund 100 Fälle zurückgezogen und nur 57 Fälle abgewiesen – das sind 4,3 Prozent. In Fällen, in denen Parteien knapp über dem Minimum leben, wird bei uns etwa eine Kostengutsprache nur für die Anwaltskosten gewährt, da diese gerade im Familienrecht in der Regel ein Vielfaches der Gerichtskosten sind. Deshalb können die Leute nicht sagen, sie könnten nicht prozessieren.
plädoyer: Isaak Meier postuliert, bei der Prüfung der unentgeltlichen Prozessführung eine Vollkostenrechnung zu machen: Also zu prüfen, ob eine Partei alle Kosten tragen kann, die im Prozess auf sie zukommen können – inklusive eigene Anwaltskosten und Prozessentschädigung. Ein guter Weg?
Falkner: Die allfällige Prozessentschädigung an die Gegenpartei berücksichtigen wir bei der Beurteilung der unentgeltlichen Rechtspflege nicht. Ein Grossteil der Zivilverfahren wird ja mit einem Vergleich abgeschlossen. Dann ist es meistens so, dass keine Parteientschädigung anfällt.
Meier: Die Gerichtspraxis erwartet zum Teil, dass eine Partei die Prozesskosten während ein bis zwei Jahren aus dem über dem (erhöhten) Existenzminimum liegenden Teil des Einkommens bezahlt. Das ist unhaltbar und unrealistisch. Man kann doch nicht verlangen, dass etwa eine Familie für die nächsten Jahre auf dem Existenzminimum lebt, damit sie einen Prozess finanzieren kann. Es braucht eine gesetzliche Regelung der unentgeltlichen Prozessführung. Die Probleme bekommt man sonst nicht in den Griff. Es braucht klare Richtlinien – zum Beispiel auch, ob man ein Haus verkaufen muss, um einen Prozess führen zu können.
Falkner: Es wäre begrüssenswert, wenn die Praxis vereinheitlicht würde. Im Moment besteht ein Jekami, jeder Richter macht etwas anderes. Der Gesetzgeber soll sich einmal entscheiden, wie viel ihm die Justiz wert ist. Im Kanton Bern versuchen wir über den Richterverband, Richtlinien zu erlassen, die von den Gerichten einheitlich angewendet werden. Heute ist die unentgeltliche Rechtspflege ein Spiel. Ich habe einen fixen kantonalen Grundbetrag und noch gewisse andere fixe Beträge – alles andere ist unklar. Berücksichtige ich die Pendlerkosten des Autos oder der Bahn? Der eine Richter setzt dafür 72 Franken pro Monat ein, der andere 500 Franken. Auch bei den Häusern, insbesondere Ferienhäusern, besteht keine klare Praxis. Und bei über 10 000 Franken Vermögen gibt es Richter, die eine unentgeltliche Prozessführung verweigern.
plädoyer: Kläger, die den Prozess nicht unentgeltlich führen können, haben laut der neuen ZPO noch ein zusätzliches Kostenrisiko. Sie müssen nämlich im Prinzip die Prozesskosten bezahlen, auch wenn sie gewinnen. Ist das nicht eine unzulässige Delegation des Prozessrisikos vom Staat auf den Kläger?
Falkner: Der Kläger trägt tatsächlich dann ein erhebliches Risiko, wenn er gewinnt und die Gegenseite nicht unentgeltlich prozessiert, aber nicht zahlt und auch kein Geld hat. Die Haftung der klagenden Partei für die Gerichtskosten haben Parlament und Kantone aber so gewollt.
Meier: Das ist eine unhaltbare Lösung. Die Garantie des Rechtsschutzes ist eine Staatsaufgabe. Es darf nicht sein, dass der Private, der einen berechtigten Anspruch durchsetzte und recht erhielt, das Kostenrisiko für die Gegenseite trägt. Diese Bestimmung in der ZPO geht klar zu weit.
plädoyer: Isaak Meier, Sie haben die Höhe der Gerichtskosten in der Schweiz untersucht und erachten sie generell als zu hoch. Ist die Schweiz auch in Sachen Justiz eine Hochpreisinsel?
Meier: Ja, im Ausland sind die Gerichtskosten generell erheblich tiefer. In Deutschland liegen sie etwa bei einem Viertel oder einem Fünftel der Schweiz. In Frankreich fallen gar keine Gerichtskosten an. Diese Dienstleistung des Staats wird mit den Steuern bezahlt. Auch in den USA sind die Gerichtskosten sehr gering, in Grossbritannien sind sie – unabhängig vom Streitwert – auf 10 000 Pfund plafoniert.
plädoyer: Die Gerichtskosten liegen noch immer in der Kompetenz der Kantone. Deshalb sind grosse Unterschiede unvermeidlich. Müsste diese Ungleichheit nicht beseitigt werden?
Falkner: Es wäre meines Erachtens besser gewesen, wenn der Bund mit der Einführung der ZPO auch die Kosten vereinheitlicht hätte. Das Parlament wollte dies aber nicht.
Meier: Ich finde den Föderalismus als Staatsform wichtig. Aber ein wichtiges Ziel muss es sein, die Gerichtskosten generell massgeblich zu reduzieren. Dafür braucht es wahrscheinlich eine Bundeslösung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Kantone bereit sind, dies von sich aus zu tun.
plädoyer: Die Prozesskosten sind auf Bundesebene am geringsten, obwohl die Lohnkosten am höchsten sind. Der Bund bezahlt also die Justiz – im Gegensatz zu den Kantonen – weitgehend aus den allgemeinen Steuerquellen. Ein Vorbild für die Kantone?
Meier: Ja, das Bundesgericht ist relativ günstig, das hat uns bei der Untersuchung der Gebühren auch überrascht. Das Bundesgericht bemüht sich wirklich darum, dass die Kosten nicht aus dem Ruder laufen.
Falkner: Das Strafgericht wird schon heute durch Steuern finanziert. Nur ein sehr kleiner Anteil von Verurteilten kann die Prozesskosten zahlen. Aber im Zivilrecht sind tendenziell verursachergerechte Kosten gewollt. Man kann sich fragen, ob das gerecht ist oder nicht.
plädoyer: Wegen der hohen Verfahrenskosten erhöht sich der Vergleichsdruck auf die Parteien. Ist das aus Sicht der Gerichte erwünscht oder nur ein angenehmer Nebeneffekt?
Meier: Ein Vergleich ist häufig eine gute Lösung. Aber es wird problematisch, wenn eine Partei aus Kostengründen gar keine Alternative zum Vergleich hat. In der Schweiz werden 50 Prozent der Fälle schon vor der Schlichtungsstelle verglichen. Viele Kantone haben bei der Schlichtungsbehörde sogar eine Vergleichsquote von gegen 80 Prozent. Vom Rest, der noch ans Gericht geht, werden nochmals zwischen 50 und 60 Prozent verglichen. Es bleiben nur relativ wenige Zivilfälle, die effektiv mit einem Gerichtsurteil enden.
Falkner: Ich habe noch nie einen Kläger erlebt, der gesagt hat, wegen der hohen Gerichtskosten schliessen wir einen Vergleich ab. Ich denke eher, dass die Anwaltskosten für die Parteien bedrückend sind. Das Regionalgericht Bern-Mittelland hat im Jahr 2015 4,9 Millionen Franken Gerichtskosten erhoben, 850 000 Franken gingen aufs Konto der unentgeltlichen Rechtspflege. Zum Vergleich: Die Anwaltskosten, die auf die unentgeltliche Rechtspflege gingen, betrugen 3,2 Millionen Franken.
Meier: In der Schweiz haben wir – wenn wir das rechtsvergleichend anschauen – eine unendlich höhere Vergleichsquote als in anderen Staaten, weil die Prozesskosten so enorm hoch sind.
Falkner: Das glaube ich nicht, das ist eine Charakterfrage. Der Schweizer ist charaktermässig in allem – so etwa auch in der Politik – für einen Ausgleich. Man will sich einigen und einen Schlussstrich ziehen. Wenn Sie Deutsche vor sich im Gericht haben – die wollen das oft gar nicht. Ihnen geht es um die Gerechtigkeit. Südländern geht es um die Ehre. Ich habe praktisch noch nie einen Vergleich mit einem deutschen Arbeitgeber oder Arbeitnehmer schliessen können.
Meier: Ich befasse mich viel mit Rechtsvergleichung und kenne die Situation in diversen Ländern. Wenn ich mit Kollegen rede, habe ich nicht das Gefühl, dass die Kompromissbereitschaft in anderen Ländern schon aus kulturellen Gründen niedriger ist. Heute ist die Gesellschaft in den verschiedenen europäischen Ländern sehr ähnlich. Die grossen Unterschiede in der Häufigkeit von Vergleichen muss daher andere Gründe wie das unterschiedlich hohe Kostenrisiko haben.
plädoyer: Die von den Gerichten verlangten hohen Kostenvorschüsse wirken abschreckend. Laut ZPO ist ein Vorschuss fakultativ, in der Praxis obligatorisch. Warum wenden die Gerichte ihr Ermessen zulasten der Kläger an?
Falkner: Das Parlament hat zwar beim Vorschuss ein «kann» in den Gesetzestext geschrieben. Aber in der Botschaft steht, nur in Ausnahmefällen könne auf einen Vorschuss verzichtet werden. Der Gesetzgeber wollte also keinen Fakultativ-Kostenvorschuss, sondern einen 90-prozentigen Vorschuss. Wir haben ein Ermessen, wie hoch der Vorschuss sein soll, mehr nicht. Wir in Bern verlangen nie die Maximalgebühr als Vorschuss.
Meier: Wo ein Ermessensspielraum besteht, muss das Gesetz verfassungskonform ausgelegt werden. Das heisst: Als Richter muss man einen Kostenvorschuss ansetzen, der nicht prohibitiv ist. Die Praxis ist heute nicht einheitlich. Es gibt grosse Unterschiede von Kanton zu Kanton – in Zürich selbst innerhalb des Kantons. Viele Gerichte schöpfen den ihnen zustehenden Ermessensspielraum nicht aus, sondern verlangen grundsätzlich in jedem Fall die volle Gerichtsgebühr.
Falkner: Als ich vom Straf- ans Zivilgericht wechselte, war ich schockiert, dass bei Eingang einer Klage sofort ein Kostenvorschuss verlangt wird. In Bern haben wir eine minimale, eine durchschnittliche und eine maximale Gebühr. Wenn ein Kläger knappe finanzielle Mittel hat und der Zeit- und Arbeitsaufwand nicht gross ist, gehen wir auf das Minimum zurück. Die Minimalgebühr liegt zum Teil fast 80 Prozent unter der Maximalgebühr.
Meier: Das finde ich sehr begrüssenswert, in Zürich ist das nicht so. Der Vorschuss entspricht in der Regel 100 Prozent der zu erwartenden Gerichtskosten. In der Schweiz führt etwa die Hälfte der Personen den Prozess ohne Anwalt. Wenn ein Laie klagt, füllt er meistens ein Formular aus und geht dann vor Gericht. All diesen Leuten auferlegt man einen Kostenvorschuss. Laien wissen oft nicht, dass sie allenfalls die unentgeltliche Prozessführung oder einen reduzierten Kostenvorschuss verlangen könnten. Das gilt im Übrigen auch für KMU. Das Bundesgericht hat kürzlich in einem Entscheid klargestellt, dass selbst von juristischen Personen, die an sich keinen Anspruch auf unentgeltliche Prozessführung haben, kein Kostenvorschuss verlangt werden darf, wenn sie diesen nicht zahlen können. Es leitet dies aus der Bundesverfassung und Artikel 6 EMRK her. Auch der Menschenrechtsgerichtshof in Strassburg sagt klar: Wenn eine Partei einen Kostenvorschuss nicht zahlen kann, darf man von ihr auch keinen solchen verlangen.
Falkner: Auch Laien wissen, dass sie unentgeltliche Prozessführung beantragen können, es steht auf jeder Kostenvorschussverfügung und im Internet sind die entsprechenden Formulare ebenfalls abrufbar. Laien fragen häufig nach Ratenzahlungen. Das wird ihnen regelmässig gewährt. Wir raten Parteien auch immer wieder zu Teilklagen, um das Prozessrisiko zu reduzieren. In Scheidungsverfahren schreibe ich regelmässig Paaren, die sich in meinen Augen problemlos einigen könnten, dass es nur einen Drittel kostet, wenn sie eine vollständige Konvention einreichen. Es ist nicht so, dass der Kläger keine Ahnung vom Kostenvorschuss hat, wenn er ans Gericht gelangt. Im Brief des Gerichts steht, man solle sich melden, wenn man nicht zahlen könne.
plädoyer: Wie viel bringt eigentlich der Kostenvorschuss den Kantonskassen?
Meier: Das ist eine interessante Frage. Das Parlament hat bei der Beratung der neuen ZPO aus fiskalischen Überlegungen an einem vollen Kostenvorschuss festgehalten. Aber hat dies etwas gebracht? Im Durchschnittskanton sprechen wir von einer Million oder ein paar Hunderttausend Franken, die dadurch gespart werden, dass weniger Gerichtskosten wegen Uneinbringlichkeit abgeschrieben werden müssen. Andererseits bestehen starke Indizien dafür, dass die Kostenvorschusspflicht sehr prohibitiv ist. Im Kanton Zürich verzeichneten die Schlichtungsbehörden zum Beispiel seit Einführung des Kostenvorschusses gleich viele Eingänge wie früher. Die bei Gericht eingeleiteten Verfahren sind jedoch um 20 Prozent zurückgegangen. Ist es das aufgrund so kleiner Summen wert?
plädoyer: Auf Unverständnis stossen auch die hohen Kosten für den Fall, dass ein Gericht nicht auf eine Klage eintritt, weil der verlangte Vorschuss nicht eingezahlt wurde.
Meier: Ich habe Fälle untersucht, in denen sich Kläger beim Bundesgericht dagegen beschwerten. Bei einem Streitwert von 8 Millionen Franken kostete der Abschreibungsbeschluss 35 000 Franken – für einen Dreizeiler des Gerichts. Das Bundesgericht hat diesen Kostenentscheid geschützt. In einem kleineren UWG-Fall im Kanton Graubünden kostete ein Abschreibungsbeschluss mehrere Tausend Franken, obwohl das Gericht nur zwei, drei Mausklicks machen musste. So teuer darf die Justiz doch nicht sein! Das verstösst meines Erachtens gegen das Äquivalenzprinzip, obwohl das Bundesgericht dies anders sieht. Für mich ist klar: Die Kosten eines Verfahrens müssen in einem vernünftigen Verhältnis zum Aufwand stehen.
Falkner: Da bin ich gleicher Meinung.
plädoyer: Steht die streitwertbezogene Berechnung der Gerichtskosten nicht generell im Widerspruch zum Äquivalenzprinzip? Grundsätzlich gilt doch: Die Gebühren einer staatlichen Handlung dürfen nicht höher sein als der entstehende Aufwand?
Meier: Die Bearbeitungszeit pro Fall wird wohl an den meisten Gerichten per EDV erhoben. Ich glaube aber nicht, dass sich viel ändern würde, wenn man statt nach Streitwert nach Aufwand abrechnen würde. Immerhin: Abschreibungsbeschlüsse und andere Formalentscheide kämen sicher günstiger.
Falkner: Es gibt viele kleine Fälle mit geringem Streitwert, bei denen heute die Gerichtskosten gering sind. Wenn diese nach dem Kostendeckungsprinzip laufen würden, würde das viel teurer. Aber auch bei den anderen Fällen bin ich mir nicht sicher, ob die Kosten nicht grösser wären.
plädoyer: Welche Artikel der ZPO würden Sie ändern, um den Zugang zum Gericht zu erleichtern?
Meier: Beim Kostenvorschuss müsste man klarstellen, dass nicht einfach ein Vollkostenvorschuss verlangt werden darf, sondern dass das Gericht den Vorschuss nach seinem Ermessen reduzieren kann und muss. Zudem müsste die Haftung des Klägers für die Kosten der Gegenpartei aufgehoben werden. Zudem müssten die Gerichtsgebühren generell reduziert werden. Das geht nicht ohne einen landesweiten Kostenrahmen. Sehr wichtig ist auch, dass man die unentgeltliche Prozessführung gesetzgeberisch näher regelt.
Falkner: Kostenvorschüsse haben auch ihr Gutes – es muss nicht jede Streitigkeit vor Gericht. Den hundertprozentigen Kostenvorschuss hingegen finde auch ich ein Problem, ebenso, dass man trotz Obsiegen auf den Kosten sitzenbleiben kann. Dasselbe bei der Parteientschädigung der Gegenpartei. Eine Regelung, wie sie Isaak Meier vorschlägt, wäre sehr gut.
plädoyer: Die Zuverlässigkeit der Schweizer Justiz und der Grad an Rechtsstaatlichkeit locken viele Unternehmen an. Diese bezahlen Steuern. Könnte man aus diesem Steuersubstrat nicht etwas mehr für die Gerichte nehmen?
Falkner: Sagen Sie das den Kantonen, den Gesetzgebern, den Parlamenten. Diese müssen das entscheiden. Ich befürchte, dass sie nicht einverstanden sind. Wenn der Kanton oder der Bund sagt, wir sind bereit, die Justiz aus Steuergeldern zu bezahlen, wäre das sicher nicht schlecht. Dann wären wir Richter nicht mehr in der Schusslinie. Es ist ja nicht unsere Aufgabe, um Gelder zu kämpfen – unsere Aufgabe ist das Richten.
Meier: Es stellt sich die Frage, wie viel uns der Rechtsstaat wert ist. Die Rechtsstaatlichkeit ist ein nur schwierig vermittelbarer Wert. Viele Bürger meinen, man sei selbst schuld, wenn man mit dem Gericht zu tun hat. Das Bewusstsein, dass man gewisse Verfahren nicht vermeiden kann und sich rascher in einem Prozess wiederfindet, als man glaubt, ist nicht sehr hoch. In meiner Abschiedsvorlesung habe ich dieses Thema auch angesprochen. Viele Juristen sagten mir nachher, dass sie sich dieser Problematik in dieser Dimension nicht bewusst gewesen seien. In der Bevölkerung dürfte dies noch viel mehr der Fall sein.
Isaak Meier, 65, Rechtsanwalt, em. Professor für Zivilprozessrecht, Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, Privatrecht sowie Mediation, heute Partner der Anwaltskanzlei Rutschmann Schwaibold Partner.
Anastasia Falkner, 47, Fürsprecherin, Gerichts-präsidentin am Regionalgericht Bern-Mittelland, Vorstandsmitglied der Schweizerischen Vereinigung der Richterinnen und Richter.