Die Ankündigung aus England wirkt beeindruckend. «Nach harter Arbeit, nach monatelangen Recherchen und Auswertungen von Abstimmungsdaten», so schreibt das Magazin «Lawyer Monthly» einem Zürcher Anwalt per Mail, «sind wir stolz, Sie offiziell informieren zu können, dass Sie den ‹Lawyer Monthly Legal Award 2017› in der Kategorie Civil Law gewonnen haben.» Der Spezialist für Vertragsrecht fragt sich, wie das Magazin ausgerechnet auf ihn kommt. Eine Selbstnomination, wie sie das «Lawyer Monthly» durchaus akzeptiert, war bei ihm nicht der Auslöser.
Rasch wird klar, worum es geht. Der Verlag, ansässig in einem Vorort von Birmingham, preist im Mail spezielle «Winner Options» an. Etwa einen Beitrag mit Biografie oder Firmenprofil, Logo und Foto auf zwei Seiten des Magazins für 1195 Pfund (umgerechnet knapp 1600 Franken). Legt man 785 Franken drauf, gibts auch eine Erwähnung auf der Frontseite. Der «einzigartige Pokal mit Lasergravur» kostet 330 Franken, für 260 Franken gibts ein gerahmtes Zertifikat mit Siegel.
Immer wieder fallen Anwälte auf die Masche herein. Das zeigte die Ende Dezember erschienene Spezialausgabe mit 223 angeblichen Top-Anwälten oder Top-Kanzleien aus 48 Ländern. Gut ein Drittel der Anwälte erkaufte sich eine Selbstdarstellung. Ein Beispiel aus der Schweiz: die als «Arbitration & Mediation Law Firm of the Year» angepriesene Dreistein AG aus dem aargauischen Schöftland. Unter diesem Namen bietet der Ingenieur, Architekt und Mediator Beat M. Waelty «in ganz Europa sowie den USA, Kanada und Thailand» seine Gutachten im Bau- und Immobilienbereich an. 2016 hatte sich bereits die Zürcher Prager Dreifuss AG auf einer gekauften Seite als «Mergers & Acquisitions Law Firm of the Year» gefeiert. Mit welchen Überlegungen? Urs Brunner, der Vorsitzende der Geschäftsleitung, reicht die Frage an die Marketingabteilung weiter, die plädoyer die Antwort jedoch schuldig bleibt. Prager Dreifuss führt das Award-Logo prominent auf der Unternehmenswebsite.
“Das sieht rasch nach gekauften Lorbeeren aus”
Tethong Blattner aus Zürich hat als «Law Firm of the Year 2017» im Wirtschaftsstrafrecht einen schlichten Eintrag auf der Liste. Lucius Richard Blattner schätzt den Einfluss solcher ausländischer Zeitschriften auf die Mandate einer Schweizer Kanzlei als «eher gering» ein. Wichtig ist ihm eins: «Wir haben ‹Lawyer Monthly› klargemacht, dass wir kein Inserat oder Interview kaufen.» Die Ranking-Welle, die aus dem angelsächsischen Bereich zunehmend in den deutschen Sprachraum überschwappe, findet Blattner «zum Teil fragwürdig». Manchmal habe er den Eindruck, es sässen irgendwo drei Typen in einem Büro und beackerten das Anwaltsverzeichnis – Land um Land. «Das sieht rasch nach gekauften Lorbeeren aus und ist dann eigentlich wertlos.»
«Lawyer Monthly» rühmt sich einer Reichweite von 179 587 Kontakten. Eine telefonische Nachfrage beim Verlag Universal Media in Lichfield ergibt: Die Druckauflage des Magazins beträgt 8000 Exemplare, die Zahl 179 587 bezieht sich auf die angeschriebenen E-Mail-Adressen, die einen Link zur kostenlosen PDF-Version des Magazins erhalten.
Universal Media wurde 2016 gegründet. Für die Massenmails greift sie auf «Global 7» zurück, eine laut Verlagswebsite «erfolgreiche Spezialistin für digitales Marketing». Die Adressdaten werden durch «Law Data Sales» für E-Mail-Kampagnen weitervermarktet.
Wehe dem Anwalt, der in diese Maschinerie gerät. Über ihn ergiesst sich eine Mailflut: Vorankündigungen, Gratulationen, Reminder und Angebote jagen sich im Wochentakt.
«Wirklich penetrant», sagt Blattner. Auf die «Lawyer Monthly Legal Awards 2017» folgen die «Finance Monthly Global Awards 2017», die Bitte zur Stimmabgabe für die «Women in Law Awards 2018» und dann der Vorschlag für ein Interview in der Rubrik «anerkannte Experten». Kostenpunkt: 695 Pfund (gut 900 Franken) für zwei Seiten mit Porträtfoto, Kontaktdaten und einem Text, den man gleich selber schreibt.
Auch Schweizer Anwälte, die sich für internationale Fälle profilieren wollen, greifen zu. Im November 2017 kaufte Silvio Riesen von Schadenanwälte in Zürich eine Interview-Doppelseite in «Lawyer Monthly». Mit Erfolg? Riesen lacht: «Man kann nicht sagen, das Interview habe ein Riesenecho ausgelöst.»
Es gibt Rabatt, wenn man in der “Bilanz” inseriert
In der Schweiz ist es die «Bilanz», die das Geschäft mit Anwaltsrankings entdeckt hat. Das Wirtschaftsmagazin publizierte im Mai 2017 in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Statistik- und Marktforschungsunternehmen Statista erstmals eine Spezialausgabe «Top Anwaltskanzleien». Ende April soll die Ausgabe 2018 erscheinen. Die «Bilanz» spricht von einer «Liste der 600 Top-Anwaltskanzleien – jeweils 20 Empfehlungen in 30 verschiedenen Rechtsgebieten von A wie Allgemeinem Vertragsrecht bis W wie Wirtschaftsrecht».
Wer mit dem «Bilanz»-Ranking werben will, muss 5000 Franken an Statista zahlen und erhält dafür ein Siegel zur Nutzung während eines Jahres. Bucht eine Kanzlei zugleich bei der «Bilanz» ein Inserat, gibts 20 Prozent Rabatt auf den Gesamtpreis.
Rund zwanzig Kanzleien führten das Siegel im März auf ihrer Homepage, darunter ABR avocats in Genf, Advokatur 56 in Bern, Advotech in Basel, AMT Rechtsanwälte in Zürich, Baumgartner Mächler in Zürich, Baur Hürlimann in Zürich, Bory & Associées in Genf, BRS avocats in Genf, Dolder Züst in St. Gallen, Étude Schneider Troillet in Genf, Huber Rechtsanwälte in Zürich, Liatowitsch & Partner in Basel, ME Advocat in Herisau, Neovius in Basel, Rodondi Joye avocats in Lausanne, Rohrer Müller Partner in Zürich, SEK Advokaten in Ettenhausen/Frauenfeld, Tethong Blattner in Zürich oder Zaehringen Anwälte in Bern. Andere Kanzleien weisen in Newslettern, in Briefen an die Kundschaft und auf Profilen in Internetmedien auf die Platzierung hin oder bieten die 36-seitige «Bilanz»-Spezialausgabe zum Download als PDF an.
Die «Bilanz» liefert Stoff fürs Marketing und schmeichelt dem Selbstwertgefühl. Patrick Wagner, Schadenanwälte-Partner in Basel, räumt ein: «Wie das Ranking entsteht, ist für mich nicht hundertprozentig transparent, von daher weiss ich auch nicht recht, wie seriös es ist – aber wenn man als Nummer eins abschneidet, freut man sich primär einfach mal.»
Die Aussagekraft des Rankings wird zuweilen massiv überschätzt. Das zeigt beispielsweise ein Brief von Abegg Middendorf Taormina (AMT Rechtsanwälte) an die «geschätzte Klientschaft und Geschäftspartner». Sie schreiben darin: «Die Listen der ‹Top Anwaltskanzleien 2017› basieren auf den Empfehlungen von über 6500 Rechtsanwälten und Mandanten.» Tatsache ist: Statista schrieb 6500 Schweizer Rechtsanwälte und 900 Unternehmensjuristen an, also total 7400 Personen. Geantwortet haben aber nicht alle. Die «Bilanz»-Sondernummer unterschlug die Rücklaufquote, die zur Beurteilung der Aussagekraft einer Umfrage wichtig ist.
Ebenso wenig erfährt man, ob von den Unternehmen – also den tatsächlichen oder potenziellen Klienten – überhaupt jemand geantwortet hat. Publiziert wird nur eine Zahl von rund 14 000 abgegebenen Empfehlungen. Erst auf Nachfrage erfährt plädoyer, dass die Antwortquote angeblich zwischen 10 und 20 Prozent lag. Im schlechtesten Fall antworteten also 740 Personen. Hinzu kommt, dass Eigenempfehlungen eliminiert wurden. Die relevante Zahl könnte also noch tiefer liegen.
Reger Stimmentausch hinter den Kulissen
Verteilt man die angeblich 14 000 Empfehlungen auf die insgesamt 30 Rechtsgebiete, in denen die «Bilanz» Listen publiziert, verbleiben pro Rechtsgebiet im Durchschnitt 467 Empfehlungen. So wird die Grundlage für einen Platz in den Top 20 rasch dünn. Beispiel: Im Ehe- und Familienrecht wurden rund 620 Empfehlungen abgegeben. 40 Prozent davon entfielen auf die Top-20-Kanzleien, im Durchschnitt bekam eine gelistete Kanzlei also 12,4 Stimmen. Für die letzten Listenplätze brauchte es wohl nur eine Handvoll Stimmen. In anderen Rechtsgebieten war die Schwelle womöglich noch tiefer. plädoyer wollte deshalb wissen, ob für die Top 20 zwei, drei oder vier Stimmen reichen. Statista lehnte es ab, eine Mindestzahl zu nennen.
Dass jede Empfehlung zählt, wissen die Anwälte zu nutzen. Hinter den Kulissen beginnt jeweils ein reger Stimmentausch unter Kanzleien, sobald Statista die Umfragelinks verschickt hat. «Eher peinlich» findet es ein Zürcher Anwalt, wenn er entsprechende Mails von Kollegen erhält, die er kaum dem Namen nach kennt. Anwalt Patrick Wagner wiederum warb letzten November bei den über 1100 Mitgliedern der Swisslawlist um Stimmen. Gerne halte er Gegenrecht, wenn man sich per Mail bei ihm melde, schrieb er seinen Kollegen.
Grosse Büros haben einen Vorteil
Einige Ergebnisse sind trotzdem plausibel. Dass Erni Brun Forrer aus Zürich mit Polanski-Verteidiger Lorenz Erni im Strafrecht auf Platz 1 kommt, findet kaum jemand abstrus. Der erste Rang in der Kategorie Restrukturierungen und Insolvenzrecht für Swissair-Sachwalter Karl Wüthrich respektive seine Kanzlei Wenger Plattner erscheint ebensowenig verkehrt wie das Trio Homburger, Bär & Karrer und Lenz & Staehelin an der Spitze im Gesellschaftsrecht.
Das heisst aber nicht, dass das Ranking das liefert, was es verspricht: die Besten. Wer tatsächlich die besten Anwälte sucht, müsste nicht die Berufskollegen anmailen, sondern ihre Klienten befragen. Diese könnten aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen ein begründetes Urteil abgeben.
Was das Ranking liefert, sind vielmehr die Bekanntesten. Beim Ruf einer Kanzlei in der Branche spielen verschiedene Faktoren mit. Die Qualität ist durchaus einer davon. Doch gekonntes Marketing, aufsehenerregende Fälle, imposante Büroräumlichkeiten, gute Verdienst- und Karrieremöglichkeiten und die Grösse einer Kanzlei beeinflussen die Bekanntheit unter den Kollegen ebenso.
Die Erhebungsmethode von Statista begünstigt zudem die grossen Büros. Wer hundert Anwälte beschäftigt, von denen zwanzig Spitze sind, erhält in der Peer Review durch den Netzwerkeffekt viel mehr Empfehlungen als die kleine Advokatur, die aus vier Spitzenanwälten besteht. Das erklärt, weshalb die Top-20-Listen dermassen monoton ausfallen. In den meisten Rechtsgebieten dominieren die 15 grössten Kanzleien das Ranking. Einem Klienten, der den besten Anwalt sucht, ist damit nicht gedient. Bei der kleinen Advokatur wird einer der vier Spitzenanwälte seinen Fall betreuen. Bei der grossen Kanzlei stehen die Chancen auf einen Spitzenanwalt eins zu fünf.