Das im Urheberrecht verwurzelte Persönlichkeitsrecht eines Autors ist in den letzten Jahren durch verschiedene Gerichtsfälle bekannt geworden, so etwa kürzlich durch einen Entscheid des Bundesgerichts (BGE 142 III 387 vom 19. April 2016). Dieses gab einem Waadtländer Ehepaar recht, das die Terrasse seiner Wohnvilla gegen den Willen des Architekten baulich anpassen wollte. Der Architekt machte vergeblich geltend, durch den Umbau werde sein Werk entstellt, was sein Urheberpersönlichkeitsrecht verletze. Die Villa besass zwar Werkcharakter. Je enger die Bindung des Architekten zum Werk ist, desto eher schädigt eine Änderung dessen Ruf. Bei der Frage des Schutzumfangs geben das Ausmass, die Art und der Zweck der Änderung den Ausschlag. Änderungen aus rein ästhetischen Gründen sind in der Regel unzulässig. Zweckorientierte Anpassungen insbesondere bei Nutzbauten muss der Urheber hingegen weitgehend hinnehmen. Im Waadtländer Fall bewertete das Gericht die Bindung des Architekten zum Bau nicht als besonders eng und beurteilte die funktional bedingte Schliessung einer Terrasse nicht als Verletzung von Artikel 11 Absatz 2 URG.
Aus verfassungsrechtlicher Sicht kann man sofort fragen, ob ein wissenschaftliches Werk nicht auch am Urheberpersönlichkeitsrecht Anteil hat und ob dieser Anteil nicht auch verfassungsrechtlich geschützt ist. Diese Situation liegt in der Bundesrepublik Deutschland vor, wo das Urheberpersönlichkeitsrecht eben durch Artikel 2 Absatz 1 i. V. m. Artikel 5 Absatz 3 GG verfassungsrechtlich geschützt ist. Dieses schützt die Beziehung des Urhebers zu seinem Werk in umfassender Weise. Er kann demnach autonom entscheiden, ob er sein Werk überhaupt verwerten möchte, und wenn ja, in welcher Form. Bei dieser Rechtslage werden Open‐Access‐Pflichten sofort zu Grundrechtsfragen erster Güte, und der Open Access kann sogar scheitern, weil unzulässig stark in ein Grundrecht eingegriffen wird (Nicole Schmidt, Open Access, Baden‐Baden 2016, S. 41 ff., 215 ff. m.w.H).
Die Wissenschaftsfreiheit als Sonderfall
In der Schweiz ist das Urheberpersönlichkeitsrecht nicht durch die Bundesverfassung geschützt. Der diesbezüglich relevante Artikel 10 BV schützt seit jeher die persönliche Freiheit. Diese verbrieft «all jene Freiheiten, die elementare Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung darstellen» (BGE 138 I 331, E. 5.1, S. 336). Damit scheiden weiterreichende Persönlichkeitsrechte, wie sie in der zivilrechtlichen Gesetzgebung geschützt werden, vom Anteil am verfassungsrechtlichen Schutz aus. In der Schweiz gibt es daher kein verfassungsrechtliches Urheberpersönlichkeitsrecht. Sollte der Gesetzgeber mittels Open‐Access‐Pflichten in die Urheberrechte von Wissenschaftern eingreifen, so steht Artikel 10 BV nicht zur Verfügung. Es bleibt allein die Wissenschaftsfreiheit übrig.
Die Wissenschaftsfreiheit (Artikel 20 BV) zählt als Kommunikationsgrundrecht zwar zu den klassischen Freiheitsrechten und bildet eigentlich einen Sonderfall der Meinungsfreiheit und der persönlichen Freiheit. Sie unterliegt als Freiheitsrecht der Schrankenregelung des Artikels 36 BV. Damit lassen sich die allgemeinen Voraussetzungen von solchen Eingriffen, die gesetzliche Grundlage, das öffentliche Interesse und die Verhältnismässigkeit, an dieser Stelle relativ einfach darlegen. Artikel 36 BV ist unter diesem Gesichtswinkel weder besonders problematisch noch interessant. Die Sachlage ist indessen bei der Wissenschaftsfreiheit komplizierter. Forschung und Lehre sind in den allermeisten, auch geisteswissenschaftlichen Bereichen, existenziell auf die staatliche Unterstützung angewiesen.
Diese Unterstützung zeigt sich in der Schaffung von Infrastruktur (Universitäten, Hochschulen, Fachhochschulen), an welcher der Bund schon von Verfassung wegen (Artikel 63 BV) stark beteiligt ist. Ferner betreibt der Bund zu einem grossen Teil auch die Forschungsförderung (Artikel 64 BV). Die wissenschaftliche Betätigung ist heute im Ergebnis weitestgehend in staatlich betriebenen Anstalten oder Einheiten möglich. Sie wird begleitet von einem engen Geflecht gesetzlicher oder reglementarischer Vorschriften, welche notwendigerweise mit der staatlichen Leistungsverwaltung einhergehen. Diese Normen können oft nicht als «Schranken» der Wissenschaftsfreiheit angesprochen werden, da sie erst die Voraussetzungen von Wissenschaftsfreiheit schaffen. Die Wissenschaftsfreiheit wird zunehmend zu einer institutionellen Garantie, das heisst, das Freiheitsrecht kann gar nicht ohne weiteres ausgeübt werden, sondern es lebt in den Formen des notwendigen regulatorischen Geflechts. Auf diese Art und Weise wird es schwierig, wenn nicht unmöglich, die institutionelle Ausgestaltung von der Schrankenziehung zu unterscheiden. Es liegt, mit andern Worten, eine ähnliche Situation vor wie bei den – privatrechtlich orientierten – Institutsgarantien (z.B. Ehe und Familie, Artikel 14 BV, oder Eigentum, Artikel 26 BV; Andreas Kley, «Die Wissenschaftsfreiheit», in: SJK 366 [31.7.2003], S. 9 f.).
Wenn nun in der Wissenschaftsförderungsgesetzgebung Open‐Access‐Pflichten für geförderte Publikationen festgeschrieben werden, so passt diese zusätzliche Regulierung an sich hervorragend zum bisher geltenden Wissenschaftsrecht. Diese fördert ja nicht voraussetzungslos. Sie verlangt von den Gesuchstellern nicht nur umfassende Angaben und eine Planung, sondern stellt eigentliche Bedingungen auf wie Kooperationspflichten oder Aufenthaltspflichten in ausländischen Forschungseinrichtungen. Es käme wohl niemandem in den Sinn, diese Pflichten als Verletzung der Wissenschaftsfreiheit zu betrachten.
Open Access soll bis 2024 realisiert sein
In diesem Sinne sind die gesetzlich geforderte Zugänglichkeit von Forschungsresultaten (Artikel 50 FIFG) und allfällige Open‐Access‐Pflichten nur ein weiterer Baustein in einer stark durchregulierten Förderungsgesetzgebung. Dabei ist Open Access nicht einmal besonders einschränkend, sondern will den Nutzen der erheblichen Forschungsaufwendungen des Staates verstärken (siehe auch Markus Metz, «Forschungs‐ und Innovationsförderung des Bundes», in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht IX, Basel 2018, S. 437, 441 m.w.H.).
Das Ziel ist von Swissuniversities und dem SNF gesetzt: Bis 2024 soll der Open Access flächendeckend realisiert sein (Nationale Open-Access‐Strategie vom 31. Januar 2017). Es stellen sich indessen Fragen nach der Art der Umsetzung dieses Ziels. Wie weit wird diese Pflicht gefordert, und ist eine Opt‐out‐Möglichkeit vorgesehen? Begleitend ist eine Revision des Urhebergesetzes nötig, die ein Zweitveröffentlichungsrecht vorsieht, und schliesslich sind auch wettbewerbsrechtliche Massnahmen gegen Verlage denkbar, welche die Veröffentlichung geförderter Forschungsergebnisse zurückhalten oder erschweren (Fabienne Sarah Graf / Dario Henri Haux, «Verpflichtung zu Open Access – universitäres Publizieren der Zukunft?», in: Sui generis 2017, S. 229–237).
Open Access ist in der Schweiz keine Verfassungsfrage. Vielmehr müsste die Umsetzung von Open Access in der einfachen Gesetzgebung, im Urheberrecht sowie in der Förderungsgesetzgebung der Wissenschaft erfolgen. Hier besteht die Gefahr, dass diese Open‐Access‐Pflichten lediglich in internen Reglementen der Förderinstitutionen vorgesehen werden. Wohl wäre in der gesamten Wissenschaftsförderung eine formellgesetzliche, allgemeine Open‐Access‐Pflicht zu regulieren. Es fällt nämlich auf, dass speziell der Nationalfonds die vielen Nebenpflichten der Wissenschaftsförderung nur in untergeordneten Regularien oder sogar bloss in den Eingabeformularen im Internet festhält und diese auch gleich wieder ändert, falls sie Widerstand auslösen. Das ist fragwürdig. Hier wäre ein stärkeres Engagement des Gesetzgebers dringend nötig.
Ausbau der Datenbanken mit Literatur
Schliesslich ist im Sinne eines romantischen Rückblicks in die Wissenschaftsgeschichte natürlich der Zusammenhang zwischen Open Access und staatlicher Forschungsförderung immer entscheidend. Ein reicher Privatgelehrter, der ohne Forschungsförderung und ohne Infrastruktur der Universitäten auskommt, kann nicht zu einer Publikation verpflichtet werden. Dieses schöne Modell ist heute allerdings kaum einem Forscher mehr vergönnt.
Im Ergebnis lässt sich also feststellen: Die Verfassung und die Wissenschaftsfreiheit lassen in der Schweiz dem Open Access freie Bahn. Das ist gut so, und es ist zu hoffen, dass auch die Rechtswissenschafter sich in ihrem Alltag von den Büchern etwas lösen können. Diese sind zwar nach wie vor wichtig, aber ergänzend wäre der Ausbau der Datenbanken mit Literatur wünschenswert.