Geheimnistuerei um neues Anwaltsgesetz
Standesrecht · Das Bundesamt für Justiz hat einen Vorentwurf für ein neues Schweizerisches Anwaltsgesetz ausgearbeitet. Im Vorstand des Schweizerischen Anwaltsverbands wurde er diskutiert. Doch für die Öffentlichkeit bleibt das Papier unter Verschluss.
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Plädoyer 05/2015
28.09.2015
Gian Andrea Schmid
Das Vorgehen war in der Schweiz wohl erstmalig: Vor drei Jahren unterbreitete der Schweizerische Anwaltsverband (SAV) dem Bund einen vollständig ausformulierten Text für ein neues Anwaltsgesetz. «Gewöhnlich nehmen Berufsverbände oder Gewerkschaften Stellung zu Gesetzesentwürfen der Regierungen und Parlamente. Der SAV ist einen Schritt weitergegangen und präsentiert gleich ein vollständiges ‹Schweizer Anwaltsgesetz› ink...
Das Vorgehen war in der Schweiz wohl erstmalig: Vor drei Jahren unterbreitete der Schweizerische Anwaltsverband (SAV) dem Bund einen vollständig ausformulierten Text für ein neues Anwaltsgesetz. «Gewöhnlich nehmen Berufsverbände oder Gewerkschaften Stellung zu Gesetzesentwürfen der Regierungen und Parlamente. Der SAV ist einen Schritt weitergegangen und präsentiert gleich ein vollständiges ‹Schweizer Anwaltsgesetz› inklusive Anhänge und einen Erlass über die Anpassungsänderungen anderer Gesetze», konstatierte der inzwischen verstorbene Zürcher Anwalt und Verwaltungsrichter Peter A. Sträuli.
Inzwischen liegt ein vom Bundesamt für Justiz (BJ) erarbeiteter Vorentwurf für ein neues Anwaltsgesetz vor. Im «Info», dem Mitteilungsorgan des Zürcher Anwaltsverbands, hiess es dazu: «Der SAV hat den Kantonalverbänden den Vorentwurf in seinen Grundzügen vorgestellt. Zudem konnten die Kantonalpräsidenten den Vorentwurf im Rahmen der Präsidentenkonferenz vom 14. April 2015 mit dem SAV und dem BJ besprechen und ihre ersten Einschätzungen abgeben» («Info» des ZAV 2/15).
Das neue Anwaltsgesetz wird nach wie vor als reine Verbandsangelegenheit betrachtet. Niemanden ausser die Kantonalpräsidenten des SAV geht das neue Gesetz offenbar etwas an. Denn plädoyer beantragte beim Bundesamt für Justiz gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz Einsicht in den Vorentwurf der Verwaltung. Antwort: «Bis zum jeweiligen Bundesratsentscheid unterstehen die Dokumente nicht dem Öffentlichkeitsgesetz. Deshalb können wir Ihnen den Entwurf zum Anwaltsgesetz nicht zukommen lassen.»
Auch der SAV war nicht bereit, plädoyer Einsicht in den Vorentwurf zu geben. SAV-Präsident Sergio Giacomini sagt bloss: «Wir tauschten uns mit dem Bundesamt in Bezug auf einige Punkte aus, in welchen es andere Regelungen vorsieht, als wir dies vorgeschlagen hatten.» Diese Differenzen seien anlässlich der Präsidentenkonferenz des SAV vom 14. April 2015 mit den Kantonalverbandspräsidenten diskutiert worden. «Einen diesbezüglich öffentlich zugänglichen Entwurf gibt es jedoch nicht.»
Auch die Präsidenten der Kantonalverbände hatten offenbar keinen integralen Einblick in den Vorentwurf. Er wurde ihnen nur in seinen Grundzügen vorgestellt. Das bestätigt zum Beispiel Simon Bachmann, Geschäftsführer des Zürcher Anwaltsverbandes (ZAV) gegenüber plädoyer.
Der ZAV kritisiert am Vorentwurf «diverse Unzulänglichkeiten»: Die Anwaltschaft würde übermässig eingeschränkt, ihr würden «unnötige Anforderungen auferlegt». Der SAV und die meisten Kantonalverbände würden diese Auffassung teilen, so die Information an die ZAV-Anwälte. Die Hauptkritikpunkte:
- Beschränkung auf Monopolbereich: Der Vorentwurf will den Geltungsbereich des Gesetzes auf die Vertretung von Parteien vor Gerichten und Behörden im Rahmen des Anwaltsmonopols beschränken. Der ZAV-Vorstand fordert, dass das Gesetz auch für beratende Anwälte gelten soll.
- Nur Anwälte in Anwaltsgesellschaften: Der Vorentwurf will den Anwaltsgesellschaften vorschreiben, dass sie zu 100 Prozent aus registrierten Anwälten bestehen müssen. Der ZAV-Vorstand verlangt die Zulassung auch von «multidisziplinären Partnerschaften», in denen auch «Steuerexperten ohne Anwaltspatent, Treuhänder, Mediziner, Ingenieure, Architektinnen etc.» Teilhaber sein könnten. Der «generelle Ausschluss solcher Fachspezialisten» sei ein «zu weitgehender und unnötiger Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit».
- Zulassung zur Anwaltsprüfung: Gemäss Vorentwurf soll das erforderliche Praktikum mindestens 18 Monate dauern. Mindestens zwölf Monate wären bei einem registrierten Anwalt oder einer Anwaltsgesellschaft zu absolvieren. Laut ZAV würde «eine solch starre Regelung das im Kanton Zürich jahrzehntelang praktizierte und bewährte System ohne Not zerstören». Im Kanton Zürich würden etwa 80 Prozent der Anwaltspraktika bei Gerichten absolviert, jährlich werden rund 200 Anwälte zugelassen. «Das Angebot von Praktikumsstellen würde bei Weitem nicht ausreichen, die Nachfrage auch nur einigermassen zu befriedigen.» Gleichzeitig würden durch die Neuerung die Ausbildungskonzepte der Gerichte, die auf eine Praktikumsdauer von zwölf Nettomonaten ausgerichtet seien, «über den Haufen geworfen».
Peter A. Sträuli hatte zum Entwurf des SAV, wie er beim Bundesamt eingereicht wurde, ausführlich Stellung genommen (plädoyer 3/2012). Seine Kritik ging vor allem in zwei Richtungen:
- Mangelnder Publikumsschutz: Grund für die schlechte Reputation des Anwaltsberufs sei das Honorarwesen. Der SAV-Entwurf habe diese heisse Kartoffel zu schnell fallen gelassen. Sträuli hätte im Sinne des Publikumsschutzes eine transparente Regelung gewünscht.
- Restriktives Anwaltsregister: Aus dem gleichen Grund kritisierte er, dass nach dem SAV-Entwurf «Heerscharen» von angestellten Anwälten im Anwaltsregister registriert würden, die faktisch Treuhänder- oder Unternehmensberatungstätigkeiten ausübten. Sträulis Vorschlag: Nur Anwälte, die spezifisch anwaltliche Tätigkeiten in eigener Verantwortlichkeit ausüben, sollten in das Anwaltsregister des Bundes aufgenommen werden.
- Unnötige Anwaltsgesellschaften: Für im Monopolbereich forensisch tätige und beratende Anwaltskanzleien sei keine Anwaltsgesellschaft notwendig. Die Haftung sei über eine obligatorische Haftpflichtversicherung geregelt. Sträuli schlug vor, bei den Anwaltsgesellschaften zu differenzieren: Bei Grosskanzleien dürfte diese Gesellschaftsform seines Erachtens den Erwartungen der Kunden entsprechen, da Grossmandate nicht einzelnen Anwälten, sondern an die Kanzlei erteilt würden. Und es dem Auftraggeber egal sein dürfte, welche angestellten Anwälte mit der Ausführung betraut werden.