Verhandlungen der Gerichte sind grundsätzlich öffentlich. So sehen es die Schweizerische Zivil- und Strafprozessordnung, die Bundesverfassung, zahlreiche kantonale Erlasse und sogar die Europäische Menschenrechtskonvention sowie der Uno-Pakt II vor. Ausnahmen gibt es wenige: Familienrechtliche Verhandlungen zum Beispiel, und bei Sexualdelikten wird das Publikum häufig zum Schutz der Opfer ausgeschlossen.
Die Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren dient der Sicherung von fairen Verfahren und ermöglicht eine Kontrolle der Justiz. Bürgerinnen und Bürger sollen zudem erfahren, wie die Gesetze ausgelegt werden, nach denen sie sich zu richten haben. Und den Juristen dient die Justizöffentlichkeit der Aus- und Weiterbildung.
Akkreditierungsverfahren darf nicht prohibitiv sein
Nicht jedermann hat Zeit und Gelegenheit, Gerichtsverfahren zu verfolgen. Die Medien nehmen deshalb mit ihrer Berichterstattung laut Bundesgericht eine wichtige Brückenfunktion ein. Doch in der Praxis hapert es mit der Öffentlichkeit der Justiz – besonders bei Zivilprozessen. Das zeigen Recherchen von plädoyer. Gerichte halten sich mit Auskünften häufig stark zurück, wimmeln Journalisten ab oder geben gar Falschauskünfte. Der Dschungel an kantonal unterschiedlichen Bestimmungen erschwert den Gerichtsberichterstattern die Arbeit zusätzlich: So ist etwa kantonal unterschiedlich geregelt, ob Journalisten bei Vergleichsverhandlungen zugegen sein dürfen.
Jede Person kann öffentliche Verhandlungen ohne Anmeldung besuchen – auch Journalisten. Berichterstatter sind aber auf ein weiteres Entgegenkommen der Gerichte angewiesen – zum Beispiel benötigen sie Informationen über den Zeitpunkt oder das Thema von Prozessen. Dazu müssen sie sich akkreditieren. Dieses Verfahren darf sich nicht prohibitiv auswirken und sollte rasch und unbürokratisch ablaufen (Jascha Schneider-Marfels, «Einsichtnahme in behördliche Dokumente, Strafakten und Strafurteile», in: medialex 3/14).
So weit die Theorie. In der Realität wird die Akkreditierung in einigen Kantonen zu einem regelrechten Bewerbungsmarathon inklusive Abgabe eines Lebenslaufs mit Foto. Beispiel Zürich: Hier müssen Journalisten einen kostenpflichtigen Auszug aus dem Strafregister und ein Handlungsfähigkeitszeugnis je im Original sowie eine Bestätigung des Arbeitgebers einreichen. Entschieden wird mit einer Verfügung. Für die Verfahrenskosten werden dem Journalisten 200 Franken aufgebürdet. Die Journalisten erhalten die Zulassung, wenn sie als «zutrauenswürdig» erscheinen. Was das genau bedeutet und ob ein Eintrag im Strafregister einer Akkreditierung entgegensteht, ist unklar. Laut Andrea Schmidheiny vom Obergericht Zürich werden die Verordnung über die Akteneinsicht und damit auch die Voraussetzungen der Akkreditierung zurzeit überarbeitet.
Dass es auch anders geht, zeigen die Kantone Aargau, Schwyz, Uri oder Nidwalden. Hier braucht es überhaupt keine offizielle Akkreditierung.
Nebulöse Informationen über Tagesordnung
Wie erfährt ein Journalist, wann und wo eine Verhandlung stattfindet? Auch das ist sehr unterschiedlich: In den Kantonen Aargau, Basel-Stadt, Basel-Landschaft und Zug werden Termine der Zivilverhandlungen nur auf Anfrage bekannt gegeben. Die übrigen geben auf dem Internet in nichtssagenden Stichworten wie «Forderung» bekannt, worum es sich handelt. Journalisten müssen raten, ob eine Verhandlung für die Leser von Interesse sein könnte. Viele Gerichtsmitarbeiter weigern sich rundweg, auch nur das Rechtsgebiet bekannt zu geben. Franz Zeller, Lehrbeauftragter für Medienrecht an verschiedenen Universitäten, hält das für problematisch: Es widerspreche dem Geist des Öffentlichkeitsprinzips, das eine wirksame Kontrolle über die Tätigkeit der Justiz ermöglichen sollte.
Auch die Publikation oder Herausgabe von Urteilen ist in der Schweiz keine Selbstverständlichkeit: Laut Bundesgericht besteht kein Anspruch auf Zustellung einer Urteilskopie (1P.298/2006). In Nidwalden oder Graubünden erhalten Journalisten jedoch problemlos eine Kopie des Urteils. Diese Gerichte vertrauen darauf, dass Journalisten ihre Berufspflichten einhalten und die Dokumente vertraulich behandeln. In anderen Kantonen müssen Journalisten die Urteile vor Ort lesen und sich handschriftliche Notizen machen – Fotografieren oder Kopieren ist verboten. Der Sinn dieser Bestimmungen ist schleierhaft. Problematisch auch: Die Urteile werden nur während einer bestimmten Zeit aufgelegt. In den Kantonen Solothurn und Obwalden sind es 30 Tage, im Kanton Zug bloss 3.
Informationsdefizite bei Gerichtsmitarbeitern
Andere Gerichte stellen die Urteile Journalisten zwar zu, aber nur anonymisiert. Zweck der Anonymisierung ist der Persönlichkeitsschutz der Parteien. An der Verhandlung treten die Parteien jedoch nicht anonym auf.
Manchmal führt pure Unwissenheit zu Komplikationen: Ein leitender Gerichtsschreiber des Bezirksgerichts Winterthur behauptete kürzlich, dass nur akkreditierte Berichterstatter über öffentliche Verhandlungen berichten dürften. Als die Journalistin beim Obergericht Zürich nachfragte, krebste er zurück und sprach von einem Missverständnis. Ähnlich im Sanktgallischen: Das Kreisgericht Toggenburg gab einer Journalistin die Auskunft, begründete Urteile seien stets geheim. Dies stellte sich als Falschinformation heraus. Mit der Schulung der Gerichtsmitarbeiter könnten solche Zwischenfälle verhindert werden.
Manchmal grenzt das Verhalten von Gerichtsangestellten an Schikane: So musste ein Journalist im Januar 2014 ein Urteil des Kantonsgerichts Zug am Empfang stehend abschreiben, weil Urteile nur unter Aufsicht gelesen werden dürfen. Immerhin: Der Kantonsgerichtspräsident bedauerte den Vorfall, den er auf «Unklarheiten bei der Umsetzung von neuen Richtlinien» zurückführte.
Verweigerte Auskunft über Rechtskraft
Unverständlich ist, dass Journalisten bei einigen Gerichten richtiggehend um die Information betteln müssen, ob ein Urteil bereits rechtskräftig ist. Der Datenschutzbeauftragte des Kantons Zürich, Bruno Baeriswyl, hält demgegenüber fest: «Auf Nachfrage sind Dritte unseres Erachtens in der Regel über die Rechtskraft eines Urteils zu informieren, ausser es lägen im Einzelfall überwiegende schützenswerte Interessen einer Partei vor.» Trotzdem verweigerte das Arbeitsgericht Zürich die Auskunft über die Rechtskraft eines Urteils – obwohl es im eigenen Jahresbericht publiziert war.
Ein so grundlegendes Prinzip wie die Justizöffentlichkeit lässt keinen Raum für Regionalkolorit. Eine Vereinheitlichung der Rechtsetzung und Praxis in den Kantonen wäre dringend nötig.