Die eidgenössischen Räte haben letztes Jahr das Fatca-Abkommen zwischen der Schweiz und den USA genehmigt. Am 2. Juni 2014 trat es in Kraft. Es soll den Schweizer Finanzinstituten Erleichterungen bei der Umsetzung des US-amerikanischen Foreign Account Tax Compliance Act (Fatca) bringen. Die Umsetzung erfolgte in der Schweiz nach dem sogenannten «Modell 2»: Demnach liefern die Finanzinstitute die Kontodaten mit Zustimmung der betroffenen US-Kunden direkt an die US-Steuerbehörde. Daten über nicht kooperationswillige Kunden müssen die USA auf dem ordentlichen Amtshilfeweg anfordern.
Mit Fatca wollen die USA erreichen, dass sämtliche im Ausland gehaltenen Konten von Personen, die in den USA steuerpflichtig sind, besteuert werden können. Fatca ist eine unilaterale US-Regelung, die weltweit für alle Länder gilt. Sie stellt eine Ausdehnung des US-Rechtsanspruchs auf die ganze Welt dar.
Verlängerter Arm der US-Justiz
Gemäss NZZ dürften es weltweit über 200 000 Finanzhäuser sein, die von Fatca betroffen sind. 77 000 haben sich freiwillig verpflichtet, die Fatca-Regelung zu übernehmen und umzusetzen. Damit operieren diese Finanzinstitute – darunter Banken, Fonds, Versicherer und Vermögensverwalter – weltweit als verlängerter Arm der US-Steuerbehörde. Macht ein Finanzinstitut nicht mit, ist es der Drohung der US-Regierung ausgesetzt, in Zukunft in den USA keine Geschäfte mehr machen zu können. Sollte das nicht reichen, können die Amerikaner auch so weit gehen, einer Bank die Lizenz, in Dollar zu handeln, zu entziehen.
Nicht nur Finanzinstitute sind von Fatca betroffen – sondern auch die schweizerische Anwaltschaft. Anwälte müssen die Vermögenswerte ihrer Klienten, die ihnen im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit anvertraut werden, getrennt von ihren eigenen Vermögen aufbewahren (Artikel 12 litera h BGFA). Das Anwaltsgeheimnis verbietet es ihnen aber, die wirtschaftlich Berechtigten an solchen Geldern bekanntzugeben.
Die Umsetzung dieser Grundsätze erfolgt in der Schweiz über spezielle Klientenkonten, die bei den Banken eröffnet werden können. Bei der Eröffnung eines solchen Kontos unterzeichnet der Anwalt das sogenannte Formular R. Darauf ist festgehalten, dass der Anwalt an den eingebuchten Werten nicht selber wirtschaftlich berechtigt ist, dass er eine anwaltliche Tätigkeit ausübt, dass er dem Berufsgeheimnis im Sinne von Artikel 321 StGB untersteht und dass das Konto/Depot ausschliesslich im Rahmen seiner anwaltlichen Tätigkeit verwendet wird. In den USA – wie in den meisten Ländern – wird das von der Anwaltschaft ebenso praktiziert.
«Kunden müssen identifiziert werden»
In der Schweiz soll das nun nicht mehr möglich sein: Thomas Sutter von der schweizerischen Bankiervereinigung meint: «Das Fatca-Gesetz verlangt bei Konten, die von Vertretern oder Vermittlern – insbesondere von Anwälten – geführt werden, dass die Kunden dieser Anwälte identifiziert werden müssen – und nicht, wie unter dem Formular R bisher möglich, nur die Anwälte selbst anstelle der Kunden.» Diese Regelung sei im Fatca-Abkommen zwischen der Schweiz und den USA in Artikel 2 Absatz 1, Ziff. 24 übernommen worden. «Wir bedauern dies, können aber an der Rechtslage nichts ändern», so Sutter.
Faktisch bedeutet das also, dass die Schweizer Anwälte gezwungen werden, die Namen ihrer Klienten offenzulegen und damit gegen ihre berufliche Schweigepflicht zu verstossen.
Ende Juni hat die Bankiervereinigung in einem Zirkular an die Banken den Anwendungsbereich des neuen Formulars R so formuliert: Über ein Konto mit Formular R seien nur noch Transaktionen möglich, die im Zusammenhang mit einer anwaltlichen oder notariellen Tätigkeit stehen würden und zudem einem der vorgesehenen Zwecke dienen (sogenannte Escrow-Account-Ausnahme – zum Beispiel Transaktion im Zusammenhang mit einem Gerichtsurteil oder einer Sicherheitszahlung in Verbindung mit einem Kaufvertrag). Für per 1. Juli 2014 bestehende Formular-R-Beziehungen gilt eine Übergangsfrist bis am 30. Juni 2015. Gemäss der Bankiervereinigung dürfen gewisse Geschäfte, die unter dem Regime des alten Formular R zulässig waren – und auch rege Anwendung fanden – nicht mehr über ein Formular-R-Konto/-Depot abgewickelt werden: zum Beispiel Zahlungen im Zusammenhang mit Steuerverfahren, Gesellschaftsgründungen, Honorarvorschüsse, Gerichtskostenvorschüsse, Erbteilungen, Willensvollstreckungen sowie Ehescheidungen. Ebenfalls dürfen keine US-Wertschriften in Depots gebucht werden, die mit dem neuen Formular R dokumentiert werden.
Banken wollen neue Regelung durchsetzen
Matthias Portmann von der Abteilung Compliance der Notenstein Privatbank AG folgert daraus: «Gemäss Bankiervereinigung trägt schlussendlich die Bank die Risiken eines Verstosses, da es ihr nicht möglich ist, die entsprechenden Angaben des Anwalts zu überprüfen und die Verantwortung für die Einhaltung der Fatca-Bestimmungen bei der Bank verbleibt.» Entsprechend müsse eine Bank bei mit dem neuen Formular R dokumentierten Konten/Depots mit geeigneten Überwachungs- und Kontrollprozessen sicherstellen, dass diese Konten/Depots nicht für Transaktionen ausserhalb des Anwendungsbereichs der Escrow-Account-Ausnahme genutzt würden.
Ob die Schweizer Banken in Zukunft überhaupt noch solche R-Konten anbieten werden, ist fraglich. Portmann: «Es ist eine Risikoabwägung, ob eine Bank auch weiterhin Formular-R-Konten/-Depots anbieten will.» Die UBS und die Credit Suisse wollten sich zu den Einschränkungen beim Anwendungsbereich des neuen Formular R nicht äussern. Ausser, dass sie sich an die Anforderungen der Bankiervereinigung halten würden. Gemäss Mediensprecher Johannes Möri hält auch Postfinance an den Anforderungen gemäss Fatca fest: «Alle über das Konto getätigten Transaktionen haben dem neuen Anwendungsbereich zu entsprechen.»
Scharfe Kritik des Anwaltsverbands
Diese Einschränkungen führen die Rechtsanwälte zwangsläufig zu einer Verletzung der Berufsregel von Artikel 12 litera H BGFA. Der Schweizerische Anwaltsverband (SAV) wirft der schweizerischen Finanzbranche deshalb vor, eine extensive Auslegung des Fatca-Abkommens zu praktizieren. «Dies ist ein überschiessender Abwehrreflex der schweizerischen Finanzbranche, welcher sich in seiner Konsequenz für die Rechtsanwälte nicht rechtfertigen lässt», sagt SAV-Generalsekretär René Rall. Die Grossbanken sähen sich derart unter Druck, dass sie nicht die geringste Reibungsfläche zu den US-Behörden bieten wollten. Deshalb hätten sie bei den Behörden und der Bankiervereinigung auf eine sehr ausgedehnte, weltweit wohl einzigartige und die Tätigkeit der Anwälte eingrenzende Auslegung der Fatca-Bestimmungen hingewirkt. «Dass damit das Schweizer Rechtssystem in Frage gestellt, ja übergangen wird, ist für die Grossbanken offenbar eine tragbare Konsequenz», sagt Rall.
SAV-Präsident Pierre-Dominique Schupp hält in der «Anwalts Revue» fest: «Der schweizerische Perfektionismus führt in unserem Land dazu, dass mehr getan wird, als eigentlich verlangt wurde.» Er schlägt seinen Mitgliedern vor, im Ausland ein Klientenkonto zu eröffnen: «Vergleichbare Einschränkungen gibt es dort trotz Fatca nicht.»
Klientenkonten: Das sollten Anwälte wissen
Der SAV hat seine Mitglieder am 3. Juli angeschrieben und empfiehlt ihnen folgendes Vorgehen:
- Seit 1. Juli 2014 können bei den Banken Formular-R-Kontos/-Depots nur noch mit dem neuen Formular R eröffnet werden. Bestehende Formulare müssen innert Jahresfrist ersetzt und die Vermögenswerte auf dem
R-Konto/-Depot nötigenfalls bereinigt werden.
- Seit dem 1. Juli 2014 sind neue Klientengelderkonten unter Anwendung des neuen Formulars R 16 zu erstellen: Der Anwalt muss sicherstellen, dass bei der Unterzeichnung des Formulars nur Fatca-konforme Vermögenswerte auf dem betreffenden R-Konto liegen.
- Transaktionen über bestehende R-Konten werden gemäss alter Definition bis am 30. Juni 2015 toleriert. Banken werden solche Formulare bis spätestens 30. Juni 2015 kündigen. Anwälte sollten ihre R-
Konten bis Ende Mai 2015 kündigen oder ersetzen, falls die Bank sie nicht dazu auffordert. Andernfalls riskieren die Anwälte, dass ihr Konto ab 30. Juni 2015, in Anwendung von Artikel 5 in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 1 litera B (iii) des Fatca-Abkommens, Gegenstand der Sammelanfrage der US-Behörden an die Schweizer Behörden wird. Dies hat zur Folge, dass über das Amtshilfeverfahren der Name des Anwalts als Kontoinhaber erscheint und die US-Behörde den Anwalt als US-Person deklariert.