Die Klientin des Luzerner Anwalts aus der Baubranche war für Arbeiten in einem Hotel nicht bezahlt worden. Der Anwalt erwirkte deshalb für sie einen unbefristeten provisorischen Eintrag eines Bauhandwerkerpfandrechts und reichte rechtzeitig Klage auf definitive Eintragung ein. Entgegen dem Gesetz löschte jedoch die Grundbuchverwalterin den Eintrag des Pfandrechts vorzeitig. Dem empörten Bauhandwerker sagte sie am Schalter, dies sei nicht ihr Fehler – sondern der seines Anwalts.
Nach gescheiterten Berichtigungsversuchen meldete der Anwalt den Schaden seiner Berufshaftpflichtversicherung, der Allianz. Ein Gutachten ergab dann, dass nicht der Rechtsanwalt einen Fehler gemacht, sondern tatsächlich das Grundbuchamt eine gesetzwidrige Löschung vorgenommen hatte und der Kanton nach Artikel 955 des Zivilgesetzbuches haftet.
Die Klientin beharrte jedoch auf der Haftung ihres Anwalts und schrieb der Allianz, sie hätte ihm schon beinahe 50000 Franken an Honoraren bezahlt. In Wirklichkeit war dies nicht der Fall. Trotzdem zahlte die Allianz ohne Einverständnis des Versicherten das angeblich bezahlte Honorar des Rechtsanwalts sowie die vorgeschossenen Gerichtskosten an die AG aus. Der Anwalt war damit nicht einverstanden. Er will nicht für den Fehler anderer geradestehen, seine Versicherungspolice belasten und zugleich als Verursacher des Problems dargestellt werden.
Rücksprachepflicht im Vertrag meist nicht geregelt
Bernd de Wall von der Allianz verweist auf die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) zur Berufshaftpflichtversicherung. Danach obliege der Versicherungsgesellschaft die Schadenhoheit und damit die Schadenregulierung. «Selbstverständlich nehmen wir immer Rücksprache mit der versicherten Person.» Das sei im Schadenfall «gängige Praxis», aber nicht explizit in den AVB festgeschrieben. Der entsprechende Passus in den AVB der Allianz lautet: «Die Gesellschaft führt die Verhandlungen mit dem Geschädigten als Vertreterin der Versicherten.» Zum Fall des Luzerner Anwalts sagt de Wall bloss: «Zu laufenden Fällen äussern wir uns nicht.»
Auch die Axa, die Helvetia und die Zürich-Versicherung sagen auf Anfrage, sie würden ohne Rücksprache mit dem versicherten Rechtsanwalt keine Schadenzahlungen an Geschädigte leisten. In den AVB dieser Gesellschaften steht dies aber ebenfalls nicht. So heisst es etwa bei der Zürich: «Die Zürich vertritt die versicherte Person gegenüber dem Geschädigten.» Und in den AVB der Axa steht: «Sie (die Axa) führt auf ihre Kosten die Verhandlungen mit dem Geschädigten. Sie ist in dieser Hinsicht Vertreterin des Versicherten, und ihre Erledigung der Ansprüche des Geschädigten ist für den Versicherten verbindlich.» Auch in den AVB der Helvetia heisst es, die Gesellschaft führe die Verhandlungen mit dem Geschädigten als Vertreterin des Versicherten.
Auch bei der Basler liegt die Handlungshoheit im Schadenfall allein bei der Versicherung: «Die Basler führt als Vertreterin der Versicherten verbindlich die Verhandlungen mit dem Geschädigten», heisst es in den AVB. Sprecher Amos Winteler meint aber, die Basler bearbeite einen Fall grundsätzlich unter Einbezug des versicherten Rechtsanwalts und in Absprache mit diesem. Das stehe zwar nicht in den AVB, aber im Beschrieb der internen Prozesse der Basler Versicherung.
Ausnahme: Versicherung Risk Management Service
Anders sind die Regelungen einzig bei der Risk Management Service AG (RMS). «Wir bezahlen nicht ohne Rücksprache mit dem versicherten Rechtsanwalt», sagt Pierre-André Luder. In den AVB der RMS heisst es denn auch ausdrücklich: «Der Schadenregulierungsbeauftragte und der Versicherte sprechen sich über das Vorgehen zur Regulierung von Haftpflichtansprüchen ab.» Der Versicherte hat zudem laut AVB das Recht, auf Kosten der Versicherung einen Anwalt beizuziehen. Luder: «Dieses Vorgehen ist einmalig und wird nur von uns so angeboten und umgesetzt.»
Wie erfahren Klienten überhaupt, bei welcher Gesellschaft ihr Anwalt oder ihre Anwältin versichert ist? Müssen die Rechtsvertreter ihre Klienten darüber informieren? Und was sagen die kantonalen Aufsichtskommissionen über die Anwälte zur Offenlegungspflicht?
Teils informiert die Aufsicht Klienten auf Gesuch hin
Laut der Praxis der Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte des Kantons Zürich muss ein Rechtsanwalt dem geschädigten Klienten die Berufshaftpflichtversicherung nicht bekanntgeben, erklärt Andrea Schmidheiny vom Zürcher Obergericht. Die Aufsichtskommission gebe geschädigten Klienten die Namen der Versicherung selbst nicht bekannt.
Anders ist laut Sprecherin Nicole Payllier die Praxis im Kanton Aargau. «Wird bei der Anwaltskommission ein Gesuch um Bekanntgabe der Berufshaftpflichtversicherung eines Anwalts eingereicht, prüft die Kommission des Kantons Aargau im Einzelfall, ob die Berufshaftpflichtversicherung dem geschädigten Klienten bekanntgegeben wird.»
Ähnlich die Situation im Kanton Bern. Gemäss Obergerichtsschreiberin Gabriela Spielmann kann der Geschädigte bei der Anwaltsaufsichtsbehörde ein Gesuch um Bekanntgabe der Berufshaftpflichtversicherung einreichen. Über das Gesuch werde «gestützt auf eine Interessenabwägung entschieden».
In Basel-Stadt existiert keine diesbezügliche Praxis. Es gab noch keinen Fall, in dem die Bekanntgabe der Berufshaftpflichtversicherung an einen Klienten strittig war. Gabrielle Kremo, Gerichtsschreiberin am Appellationsgericht, sagt, die Frage, ob die Bekanntgabe der Berufshaftpflichtversicherung zu den Berufspflichten des Rechtsanwalts gehöre, sei nicht einfach zu beantworten. Deshalb könne «nicht vorausgesagt werden, wie die Aufsichtskommission entscheiden würde». Auch St. Gallen kennt bislang noch keinen derartigen Fall. Jürg Diggelmann, Präsident der Anwaltskammer am dortigen Kantonsgericht: «Ich persönlich halte die Auffassung der Anwaltskammer des Kantons Bern für überzeugend, dass der Anwalt dem Klienten im Schadenfall die Police bekanntgeben muss, da der Schutzzweck von Artikel 12 litera f des Bundesgesetzes über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte sonst vereitelt werden könnte.»