Elisabeth Bürgi Bonanomi unterrichtet an der Rechtsfakultät der Universität Bern «Nachhaltigkeit im Recht». Zudem ist die Juristin am interdisziplinären Forschungszentrum «Centre for Development and Environment» tätig, das der Uni angegliedert ist. Dort ist Bürgi für das thematische Standbein «Policy Coherence for Sustainable Development» verantwortlich.
In dieser Funktion leitet Bürgi Bonanomi Forschungsprojekte und Mandate im Bereich Entwicklungskohärenz. Dabei geht es um Themen wie die «nachhaltige Ausgestaltung von Handelsabkommen», die «rechtliche Regulierung zur Vermeidung illegitimer Finanzflüsse» oder «nachhaltige Ernährungssysteme und Investitionen im Land». Bürgi Bonanomi sagt: «Die meisten meiner Arbeiten sind interdisziplinärer Natur. Ich arbeite eng mit Ökonomen, Geografen oder Anthropologen zusammen.»
Sie ist überzeugt: «Interdisziplinäres Arbeiten wird für Juristen in der Zukunft immer wichtiger, nicht zuletzt, da sich neue Arbeitsfelder in der Forschung und der Politikberatung auftun.» Die Studierenden, die ihre Vorlesungen und Seminare besuchten, seien denn in der Regel auch an gesellschaftspolitischen Fragestellungen überdurchschnittlich interessiert und wollten in ihrer künftigen Arbeit «etwas bewegen». Trotzdem kritisiert Elisabeth Bürgi Bonanomi: «Allgemein ist interdisziplinäres Arbeiten und Forschen unter den jungen Juristen noch zu wenig bekannt.»
Anders in den USA. Dort bieten rechtswissenschaftliche Fakultäten seit Jahrzehnten interdisziplinäre Vorlesungen an wie zum Beispiel «Law & Literature», «Law & Movie» oder – wohl die bekannteste Kombination – «Law & Economics». Angehende Juristen sollen in diesen Fächern lernen, den Blick über den Tellerrand der Rechtswissenschaften zu werfen.
“Als Jurist sollte man für alles offen sein”
Rechtsprofessor Pascal Pichonnaz von der Uni Freiburg weilt zurzeit für ein Jahr als Gastprofessor am Law Center der Georgetown University in Washington D.C. Er sagt: «In den USA fragt man sich nicht, ob Jus interdisziplinär betrachtet werden soll. Es wird einfach so betrieben – viel mehr als in Europa.» Interdisziplinarität bedeute für ihn, «dass man sich zumindest den Diskurs einer andern Disziplin aneignet und sich mit ihren Vertretern austauschen kann». Pichonnaz: «Als Jurist kann man nicht alles sein, aber man sollte für alles offen sein.»
Auch die Rechtsfakultäten der Schweizer Universitäten richten sich zunehmend interdisziplinär aus. Das zeigt eine Umfrage von plädoyer:
Universität Freiburg: Hier gibt es unter anderem das Institut für Föderalismus, das Institut für Ethik und Menschenrechte oder das Zentrum Islam und Gesellschaft. Laut Alexandra Lovey arbeiten dort zahlreiche Juristen interdisziplinär – sei es, dass sie philosophische, soziologische oder ökonomische Fragen in ihre Forschung und Lehre einbeziehen oder an einem interdisziplinären Forschungsprojekt beteiligt sind. Lovey nennt als Beispiel die Projekte zur Migration und zur Alterung in Gefängnissen.
Mit dem Herbstsemester 2017 biete man neu auch den Studiengang «wirtschafts- und rechtswissenschaftliche Studien» an. Interfakultär ist auch der Studiengang in Umweltwissenschaften. Nichtjuristen können einen Bachelor in Umweltwissenschaften mit Schwerpunkt Recht erlangen. Umgekehrt können Jusstudenten Kurse in Ökologie belegen.
Universität Luzern: «Die interdisziplinäre Forschung ist uns ein grosses Anliegen», sagt Stefan Bosshart von der Rechtsfakultät. Einen interdisziplinären Forschungsfokus haben hier die Institute «lucernaiuris» sowie das «Institut für Unternehmensrecht IFU/BLI». Aber auch einzelne Professuren arbeiten interdisziplinär, wie zum Beispiel jene von Klaus Mathis. Sein Lehrstuhl widmet sich der Forschung an der Schnittstelle von Recht, Ökonomie und Philosophie.
Universität St. Gallen: An der HSG können laut Jürg Roggenbauch Kooperationen auf der Ebene von Centern, Instituten, Lehrstühlen oder sogenannten Labs erfolgen. Dies gelte auch für forschende Juristen an der HSG. Roggenbauch: «Die interdisziplinären Gebiete der juristischen Fakultät umfassen die Felder Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft sowie Kultur- und Sozialwissenschaften.»
Universität Bern: Interdisziplinäre Forschung gehöre «zentral zur Strategie der Uni», sagt Sylvia Kilchenmann von der juristischen Fakultät. Sie erwähnt dabei vor allem das Kompetenzzentrum für Public Management und das World Trade Institute. Aber auch das Zentrum für Gesundheitsrecht, das mit der medizinischen Fakultät und der Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät (WISO) zusammenarbeitet, ist an der Rechtsfakultät beheimatet. Daneben würden diverse Institute interdisziplinäre Projekte mit der WISO, der theologischen und der philosophisch-humanwissenschaftlichen Fakultät sowie mit dem Zentrum für Gender Studies verfolgen.
Universität Zürich: Sie bietet Juristen eine Fülle interdisziplinärer Kompetenzzentren an. Zum Beispiel strebt das Zentrum Medizin – Ethik – Recht Helvetiae die Vernetzung und Förderung von Forschung und Lehre zu Fragen aus den Bereichen Medizin, Ethik und Recht an. Oder das Kompetenzzentrum Menschenrechte, das seine Forschung insbesondere in den Bereichen «Soziale Gerechtigkeit», «Persönlichkeitsschutz», «Gesundheit», «Verfahrensrechte» oder «Unternehmen und Wirtschaft» konzentriert.
Interessant: Bei interdisziplinären Forschungsprojekten gibt es immer mehr Sammelhabilitationen, weil mehrere Autoren aus verschiedenen Fachbereichen gemeinsam forschen. Auf Anfrage bestätigten alle rechtswissenschaftlichen Fakultäten, dass bei ihnen eine Sammelhabilitation grundsätzlich möglich ist.