Whistleblower sind Personen, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit Zeugen von Missständen werden und diese intern oder extern melden.
Anders als in anderen Ländern sind sie in der Schweiz nur ungenügend vor Repressalien geschützt. Aus diesem Grund und aufgrund von internationalem Druck legte der Bundesrat im Auftrage des Parlaments (beruhend auf einer Motion des damaligen Basler SP-Nationalrates Remo Gysin) einen Gesetzesentwurf für einen besseren rechtlichen Schutz von Whistleblowern vor.
Unabhängig vom Inhalt des vorliegenden Entwurfs bewirkte bereits der ganze Gesetzgebungesprozess, der mit der Einreichung der Motion Gysin im Jahr 2003 begann, einen positiven Effekt. Er regte eine öffentliche Debatte an, die zu einer Sensibilisierung für die Nöte der Whistleblower unter geltendem Recht beitrug und die sperrigen Begriffe «Whistleblowing» und «Whistleblower» bei uns alltagstauglich machte.
Konkret sorgt der Gesetzesentwurf für mehr Klarheit, ein grosser Mangel unter geltendem Recht. So besteht momentan Unsicherheit, an welche Stellen innerhalb und ausserhalb des Unternehmens oder des Arbeitgebers sich Hinweisgebende wenden müssen. Zusätzlich ist stossend, dass sogar strafbare Handlungen des Arbeitgebers unter Umständen nicht aufgedeckt werden dürfen (falls das öffentliche Interesse an Aufdeckung geringer gewichtet wird als das Interesse des Arbeitgebers an Geheimhaltung).
Die vorgeschlagenen Regelungen legen nun klar fest, in welchen Fällen extern Meldung erstattet werden kann. Grundsätzlich gilt, dass eine Meldung intern erfolgen muss (etwa an Unternehmensleitung, Compliance, Rechtsdienst). Externe Meldungen an eine zuständige Behörde (wie Strafverfolgungsbehörden, Suva, Steuerbehörden) sind nur in wenigen Situationen möglich (alternativ):
n Entweder, wenn ein Arbeitgeber nach einer internen Meldung nicht innert angemessener Frist wirksame Massnahmen ergreift.
n Oder, wenn aufgrund der Umstände anzunehmen ist, dass der Arbeitgeber auch in Zukunft trotz Meldung keine wirksamen Massnahmen ergreifen wird, zum Beispiel, weil er selber in das Delikt involviert ist.
n Sodann, falls die Verfolgung der Taten ohne direkte externe Meldung vereitelt werden könnte, beispielsweise durch Vernichtung entscheidender Beweismittel.
n Und wenn Gefahr in Verzug ist wie in Krisensituationen, bei sehr schwerwiegenden strafbaren Handlungen oder der Gefährdung von Leben.
In allen diesen Fällen ist die Meldung an eine externe Behörde erlaubt, sofern es ein öffentliches Interesse auf dem Spiel steht. Interessant: Laut Entwurf ist ein öffentliches Interesse zwangsläufig gegeben, wenn eine Behörde besteht, die für die Entgegennahme von Meldungen eingerichtet wurde. Nach dieser Definition würde etwa die Aufdeckung von Steuerdelikten im öffentlichen Interesse liegen.
Leider hat es der Gesetzgeber bei der Aufzählung dieser Ausnahmen jedoch verpasst, ebenfalls eine direkte externe Meldung an die zuständige Behörde zu gestatten, falls der Arbeitgeber keine interne Meldeinstanz bezeichnet hat. Die Ernennung einer internen Anlaufstelle ausserhalb der Linie (bei kleinen Unternehmen alternativ ein Mitglied der Geschäftsleitung oder der CEO) erleichtert das Melden beträchtlich. Diese zusätzliche Ausnahme würde für die Unternehmen einen wichtigen Anreiz schaffen, interne Anlaufstellen zu bezeichnen und das interne Melden von Missständen zu thematisieren.
Ebenfalls unterlassen hat es der Entwurf, Whistleblower wirksam vor missbräuchlicher Entlassung zu schützen. Zwar wird gerechtfertigtes Whistleblowing neu explizit in den Katalog der missbräuchlichen Kündigungsgründe aufgenommen.
Eine abschreckende Wirkung vor missbräuchlicher Kündigung ist jedoch bei einer Entschädigung von maximal lediglich sechs Monatslöhnen nicht gegeben, zumal die Arbeitnehmenden auch laut den neuen Bestimmungen kein Anrecht darauf besitzen, die Kündigung anzufechten und ihre ehemalige Stelle oder eine vergleichbare Positition zurückzuerhalten.
Der Schaden, den ein potenzieller Whistleblower zu gewärtigen hat, steht somit in keinem Verhältnis zu demjenigen seines Arbeitgebers, der ihn missbräuchlich entlassen will.
In England etwa haben Arbeitnehmer bei Entlassung wegen einer rechtmässigen Meldung Anspruch auf angemessene Entschädigung unter Berücksichtigung des erlittenen Schadens. Ausserdem ahndet das englische Recht eine missbräuchliche Kündigung durch die Wiedereinstellung am gleichen Arbeitsplatz, durch ein Angebot einer vergleichbaren Beschäftigung oder andernfalls durch eine Entschädigung.
Wiedereinstellung oder die Anstellung an einem vergleichbaren Arbeitsplatz werden nach Ermessen des Gerichts ausgesprochen, wenn der Arbeitgeber dies wünscht. Dabei wird auch die Machbarkeit für den Arbeitgeber und ein allfälliges Mitverschulden des Arbeitnehmers in Betracht gezogen.
Eine ähnliche Lösung wäre auch bei uns zu wünschen. Im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Anstellungsverhältnisse und im Rahmen des Gleichstellungsgesetzes ist die Möglichkeit der Wiedereinstellung nach einer missbräuchlich ausgesprochenen Kündigung bereits Teil des geltenden Rechts und deshalb kein neues Konzept.
Zudem führen gleiche Bedingungen für die Meldung von Missständen im privaten und öffentlichen Sektor zu mehr Einheitlichkeit bei der Strafverfolgung, und auch die Motion Gysin verlangt ausdrücklich eine Gleichbehandlung der beiden Sektoren.
Ein Whistleblowing-Spezialgesetz anstelle der Teilrevision des Obligationenrechts würde eine Gleichbehandlung der Angestellten beider Sektoren garantieren sowie die Whistleblower durch ein wahlweises Recht auf Wiedereinstellung oder Entschädigung effektiver vor Repressalien schützen.
Wie die Ausgestaltung für die öffentlich-rechtlichen Angestellten erfolgt, muss ebenfalls im Detail überprüft werden. Vor allem sollte sichergestellt sein, dass eine allgemeine Meldepflicht nicht nur für die Strafbehörden, sondern für das Bundespersonal im Allgemeinen besteht. Auch sollte eine geeignetere generelle Anlaufstelle für Meldungen geschaffen werden als die eidgenössiche Finanzkontrolle.
Grundsätzlich ist deshalb der vorliegende Gesetzesentwurf der berühmte Schritt in die richtige Richtung und sorgt für mehr Klarheit als das geltende Recht. Einen wirklichen Schutz von Hinweisgebenden vor Repressalien bewirkt er aber nicht. Ebenso wenig erreicht er einen gleichen Schutz für Angestellte des privaten und öffentlichen Sektors. Dies trotz entsprechender Aufforderung der Motion Gysin. Zusätzlich bleibt unklar, wie die endgültige Regelung für das allgemeine Bundespersonal ausgestaltet wird. Aus diesen Gründen erfüllt der Gesetzesentwurf des Bundesrates die Vorgaben der Motion Gysin nur halbwegs. Es bleibt Potenzial für Verbesserung.
Zora Ledergerber Juristin, Anti-Korruptionsorganisation «Basel Institute on Governance»